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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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war: Die Wände des Grabmals waren weiß verputzt und mit Bildern überzogen worden. Jeder Quadratzoll jeder einzelnen Oberfläche war mit intensiven, kraftvollen und lebhaften Farben geschmückt. Ein riesiges Wandfeld zeigte den Bewohner des Grabmals mit emporgehobenem Speer in einem Pferdewagen neben der gekrönten Gestalt des Pharao; und vorneweg rannten Hunde, die einer hochspringenden Antilope dicht auf den Fersen waren. Ein anderes Gemälde präsentierte den Priester, wie er in seinen bunten Gewändern eine Zeremonie leitete, bei der eine Reihe von Tieren geopfert wurden; das Ganze wurde beaufsichtigt von einer riesengroßen Figur des bronzehäutigen Gottes Amun mit Federkrone. Ein drittes Wandfeld stellte den Bewohner des Grabmals auf seinem Stechkahn aus Papyrus dar; der Priester stakte durch hohes Schilf und war von Kranichen, Enten und Reihern umgeben; Vögel aller Art bevölkerten den Himmel über ihm, und das Wasser unter dem Boot war voller Fische, sogar ein Krokodil hatte man gezeichnet ... Und noch viel mehr war auf den Wänden zu sehen. Die Decke hatte man ebenfalls bemalt - mit einem strahlenden Blau sowie winzigen weißen Sternen, um den Himmel nachzuahmen. Alle Gemälde waren wundervoll, komplex und detailreich, mit Farben so frisch und leuchtend wie an dem Tage, als die Künstler ihre Pinsel niedergelegt und sich wieder ans Sonnenlicht begeben hatten.
    »Da ist sein Reichtum«, bemerkte Burleigh, trat an Lady Evelyns Seite und hielt seine Laterne neben ihre. »Der Bursche hat sein ganzes Vermögen für Kunst ausgegeben.«

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

    R udolf, König von Böhmen und Ungarn, Erzherzog von Österreich und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, klopfte mit seinen langen Fingern ungeduldig auf die Armlehnen seines Lieblingsthrons. Er hasste es zu warten. Und doch schien es, dass die Hauptarbeit des höchst mächtigen Herrschers des Heiligen Römischen Reiches eben nicht das Herrschen war, sondern das Warten. Tagtäglich - an jedem Tag, den ganzen Tag lang - lief das Leben eines Kaisers auf wenig mehr hinaus als auf eine Reihe kurzer Unterhaltungen, die von lang andauernden Intervallen des Nichtstuns unterbrochen wurden. Er wartete darauf, dass Audienzen abgehalten wurden; er wartete auf seine Edikte, die ratifiziert und ausgeführt werden sollten; er wartete auf Minister, die entsprechend seiner Entscheidungen handeln sollten; er wartete auf Antworten auf seine vielfältigen Botschaften; er wartete, während die gewaltigen Räder der Regierung sich langsam drehten, dass diese ein Ergebnis - zumindest irgendein Ergebnis - zuwege brachten ... Und so ging es weiter und, soweit er es vorhersehen konnte, immer weiter.
    Das Beste, was man erhoffen konnte, war, all dieses Warten in produktivere Mengen zu organisieren, sodass sich so viele Verzögerungen wie möglich überlappten. Rudolf liebte es zu glauben, dass die untätigen Perioden sich auf diese Weise produktiver gestalteten, als wenn sie einzeln auseinandergezogen wären. Beispielsweise wartete er gerade jetzt auf das Trocknen von Farbe, auf die erste Audienz des Tages und auf eine Nachricht aus Wien über die Geburt eines Kindes von seiner Geliebten. Sein Porträt wurde derzeit fertiggestellt, und der Künstler bestand darauf, dass er, Rudolf, wartete, bis die Farbe sich abgesetzt hatte, und zwar in unveränderter Pose, falls Verfeinerungen am Bild erforderlich sein sollten. Gleichzeitig erwartete er seinen wichtigsten Alchemisten, der ihm mit den Ergebnissen der letzten Experimente aufwarten sollte. Und zudem war die hochschwangere Katharina nach Wien geschickt worden, um sein Kind zu gebären, dessen Ankunft unmittelbar bevorstand. Später konnte er sich darauf freuen, auf seine Minister zu warten, die ihm den Status seiner Staatskasse präsentieren sollten, sowie auf seinen Freund Prinz Leopold von Schwaben, der zu seinem alljährlichen Besuch und der Jagd eintreffen würde, und auf die Kutsche, mit der er zur Oper fahren wollte, um dort einen unterhaltsamen Abend zu verbringen.
    Ein voller und produktiver Tag des Wartens breitete sich vor ihm aus.
    »Wie lange dauert es noch?«, erkundigte er sich - die Frage bezog sich auf die Farbe. Allerdings war dies ein so gewohnter Satz auf seinen Lippen, dass sich seine Höflinge nicht verpflichtet fühlten, darauf mit irgendeiner Form von präziser Antwort zu reagieren.
    »Nicht lange, Majestät«, antwortete der Künstler Arcimboldo und strich ein Tuch sanft über die Oberfläche der

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