Die Zeitwanderer
Akolythen des Tempels für sie ab, der sie als Führer und Dolmetscher begleiten sollte.
Die drei wagten sich aus dem Tempelgelände heraus und gingen um den öffentlichen Platz herum. Arthur hatte die Absicht, seine junge Frau sich zunächst ein wenig die Füße vertreten zu lassen, um sich dabei an Land und Leute zu gewöhnen. Sobald sie sich ein wenig eingelebt hatte, gedachte er ihr den Nil zeigen. Vielleicht würden sie ja mit den sanften ägyptischen Winden auf dem Fluss segeln.
Nachdem sie den Rundgang über den Platz abgeschlossen hatten, begannen sie, die einzige Hauptstraße der Stadt zu erkunden.
»Dies hier sind die Wohnsitze der reicheren Kaufleute«, wusste Arthur zu berichten und hielt vor einem Abschnitt mit großen Steinhäusern an, die zu beiden Seiten der breiten, von Palmen gesäumten Straße standen.
»Und was ist mit den kleinen Hütten?«, fragte Xian-Li. Im Schatten der ausgedehnten Häuser mit ihren gut bestellten Gärten kauerten sich einfache, mit Palmblättern gedeckte Schuppen aus Lehmziegeln.
»Dort wohnen die Sklaven«, antwortete Arthur. »Alle Ägypter aus den höheren Gesellschaftsklassen halten sich Sklaven - Nubier, Äthiopier und Angehörige anderer Völker. Alles in allem ist das nicht so schlecht für sie. Das Leben in Ägypten ist sehr gut.«
»Aha!« , rief plötzlich ihr Führer, als Arthur begann, die Straße weiter entlangzugehen.
Arthur hielt mitten im Schritt inne und streckte die Hand aus, damit Xian-Li stehen blieb. »Warte«, sagte er.
Sie drehten sich um, als der erste einer langen Reihe voll beladener Esel an ihnen vorbeischritt. Ihre Treiber spazierten mit Peitschen aus Stricken neben ihnen her. Auf den starken Rücken der Tiere stapelten sich die Bündel und Pakete. Darin befanden sich geschnittenes Schilfrohr, unbearbeiteter Flachs, Obst und Gemüse - Melonen, Lauchstangen sowie Netze mit Rettichen, Bohnen und Mangolden - sowie Stücke aromatischer Hölzer.
»Sie gehen zum Marktplatz«, erzählte Arthur seiner Frau, während sie den vorbeiziehenden Treck beobachteten. »Morgen ist Markttag, wie ich glaube. Würdest du dir so etwas gerne ansehen?«
»Oh ja! Ich möchte mir alles anschauen.«
»Dann werden wir morgen früh dorthingehen«, versprach Arthur.
Sie führten ihren Spaziergang durch die Stadt fort. Doch sie kamen nicht allzu weit, weil Xian-Li, die verwirrt von der Vielfalt dieser fremdartigen, exotischen Kultur und überwältigt von all den vielen Eindrücken war, rasch müde wurde.
»Es tut mir leid, mein Ehemann, aber ich glaube, ich muss mich ein wenig ausruhen«, gestand sie.
»Natürlich, mein Liebling. Es kann beängstigend sein - so vieles auf einmal. Wir gehen jetzt zurück, ruhen uns aus und nehmen dann eine kleine Mahlzeit zu uns. Du wirst anfangen, dich an alles zu gewöhnen. Du wirst sehen - morgen wird schon alles besser für dich sein.«
Aber die Versprechungen auf Morgen - so ernst sie auch gemeint sein mögen - sind zerbrechliche Papierboote, die an den Ufern eines ungeheuer großen und unsicheren Meeres vom Stapel gelassen werden: Sie werden selbst durch die kleinste, sich kräuselnde Welle oder Ozeanbrise schnell unter Wasser gesetzt.
NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL
D ie Kutsche rumpelte über die Brücke, und Wilhelmina hatte erstmals einen guten Ausblick auf den Kaiserpalast. Er hatte eine wuchtige, dräuende Präsenz - war mehr Bunker als Schloss - und ließ sie an die schwerfällige, graue Erhebung des Buckingham Palace zu Hause in London denken. Kaiser Rudolfs Palast fehlte es gleichermaßen an Charme und Eleganz: Er war eine kolossale Steinkiste ohne Türme, Bergfried, Zinnen oder irgendeine Form von äußerlichen Verzierungen - und zeigte so der Welt ein grüblerisches und ansonsten ausdrucksloses Gesicht.
Der Bau ließ die Kathedrale in seiner unmittelbaren Nähe umso strahlender hervortreten: Direkt gegenüber dem Palast ragten die Spitzen des Doms empor, der dem heiligen Veit gewidmet war. Das gewaltige Gotteshaus, das im frühen Morgenlicht rötlich-golden leuchtete, mutete im Vergleich zu seinem schwerfälligen Nachbarn wie ein fast magisches Gebilde an. Und da es auf dem höchsten Punkt der Stadt errichtet worden war, schien das heroische Bauwerk - ungeachtet seiner Kapellen und Türme und vor allem trotz des kolossalen Glockenturms mit der kupfernen Kuppel - im Begriff zu sein, den Himmel zu erstürmen.
Sobald sie die Brücke überquert hatten, entschwand der Palast augenblicklich ihren Blicken; und dies
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