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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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breit, übersichtlich und menschenleer die Allee war, die sie entlanggingen: Es fehlte das gewohnte Durcheinander und die übliche Verkehrsbelastung der übervölkerten, modernen Stadt. Verschwunden waren die blendenden Lichter der elektrischen Reklame; verschwunden die grellbunten Ladenfronten, Schaufenster und Plakatwände; verschwunden der strahlende Glanz der Straßenlaternen, Scheinwerfer und Flutlichter. Es gab ebenfalls nicht das üppige Gewirr von Strom- und Telefonleitungen, keine nach oben stechenden Fernsehantennen und keine Satellitenschüsseln, keine Strommasten und Verteilerkästen. Wie schon in dem kleinen Fischerort fuhren weder Taxis noch Busse, noch Autos, noch andere motorisierte Fahrzeuge auf den Straßen. All das führte dazu, dass die Stadt sicherlich um einiges ruhiger und leiser war, aber auch sehr viel düsterer.
    So wie hier, befand Kit, hatte irgendwann einmal die alte Dame London ausgesehen. »In welchem Jahr befinden wir uns?«, wollte er wissen.
    »1666«, antwortete Cosimo. »Der zweite September, um genau zu sein.«
    »Also ein paar Jahre nach der Restauration der Stuart-Monarchie«, merkte Kit an. »Als Samuel Pepys sein berühmtes Tagebuch geschrieben hat.«
    »Unter den Modalitäten der Heimatwelt wäre das korrekt«, pflichtete Cosimo ihm bei.
    »Heimatwelt?«
    »Der Ursprungswelt«, erklärte der Alte. »Oder, wie du sagen könntest, der realen Welt. Dem Ort, wo du und ich geboren wurden.«
    »Aber ist das hier nicht ...?«, begann Kit und schaute sich um. »Ich dachte -«
    »Nein«, fiel ihm Cosimo ins Wort und schüttelte den Kopf. »Das ist keine bloße Zeitreise, vergiss das nicht. Wir sind zu einem anderen Ort gewandelt.«
    »Der sich ganz zufällig in einer anderen Zeit befindet?«
    »Genau. Das ist nicht eine bloße Wiederholung der Restaurationszeit in England. Dieses spezielle England hier hat seine eigene Geschichte und entwickelt sich entlang seiner eigenen historischen Linie. Es ist ähnlich - gegeben durch einen gemeinsamen Startpunkt -, aber anders; und die Unterschiede vergrößern sich von Jahr zu Jahr.«
    »Eine alternative Geschichte«, entfuhr es Kit, »in einer alternativen Welt.«
    »So kann man es sagen«, räumte Cosimo ein. »In diesem speziellen England hier befinden wir uns nicht in der Restaurationszeit, weil es nie ein Ende der Monarchie gegeben hat. Karl I. ist niemals entthront, geschweige denn geköpft worden. Es gab auch keinen Bürgerkrieg.«
    »Wirklich?«, staunte Kit. »Keine Royalisten, keine Parlamentarier? Kein Oliver Cromwell, der alles umnietete und jeden mit Spießen herumkommandierte?«
    »Oh, die gibt es wohl. Aber in diesem England ist Cromwell ein Wanderprediger. Er geht den Leuten immer noch auf den Wecker, aber er ist relativ harmlos.«
    »Sag bloß!«
    »Tatsächlich ist das gesamte politische Klima völlig anders als in unserer Welt, wie du sehen wirst.« Cosimo hielt an, wühlte in einer Innentasche und holte einen Schlüsselring hervor. »Wir sind da«, sagte er, trat zum Eingang eines bescheidenen Schindelhauses und ging hinein.
    Kit folgte ihm. Er stand in der Düsternis eines langen, unbeleuchteten Flurs, während sein Urgroßvater mit dem Schlüssel an einem ebenfalls im Dunklen liegenden Türschloss herumstocherte. Schließlich vernahm er ein Klicken und dann das Knarren eiserner Türangeln. In der Finsternis wehten zwei Worte zu ihm. »Warte hier.«
    Ein schwerer Geruch von Moder und ranzigem Fett, das offenkundig von billigen Kerzen herrührte, lag in der abgestandenen Luft. Kit wartete und lauschte den leise kratzenden Geräuschen von Mäusen, die hinter der Vertäfelung umherhuschten. Nach wenigen Augenblicken bemerkte er ein schwaches rötliches Glimmen, das von dem Raum ausging, in dem Cosimo verschwunden war. Anschließend sah er ein weiteres Leuchten und noch eines, als nacheinander dort Kerzen angezündet wurden.
    »Du kannst nun hereinkommen«, rief Cosimo ihm zu. »Und mach die Tür hinter dir zu!«
    Kit trat ein und schaute sich in dem sehr spärlich ausgestatteten Raum um. Er erblickte nur ein paar Holzmöbel - einen Tisch, einen Stuhl, ein Bett und einen Kohlekasten -, und das schien schon alles zu sein, was es in diesem Zimmer gab. Am anderen Ende des Raums war eine weitere Tür, die Cosimo nun öffnete. Er verschwand durch sie und kehrte mit einem Haufen Kleidungsstücke zurück.
    »Wir müssen uns umziehen«, sagte er.
    »Ist das hier deine Wohnung?«
    »Ja. Zum Schutz vor allen Arten von Schwierigkeiten,

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