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Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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goldenen Auges. Er spürte, wie die Luft beim Gebrüll des Geschöpfs vibrierte, als es herbeisprang. Im letzten Moment rappelte Kit sich auf und ergriff stolpernd die Flucht. Hinter sich hörte er das Rasseln der Kette und das entsetzliche kratzende Geräusch großer Krallen, die den Grasboden zerfetzten. Irgendwie bekam er wieder die Hand des alten Mannes zu fassen, hielt sie mit grimmiger Entschlossenheit fest und wurde weiter den Pfad entlanggezerrt. Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war ein anschwellender Gegenwind, der das Laufen mühsam machte. Er spürte Nieselregen auf seinem Gesicht und konnte hören, wie hinter ihnen wilde Flüche und Rufe erschollen.
    »Nicht stehen bleiben!«, schrie der alte Mann. »Lauf weiter!«
    Die Stimmen ihrer Verfolger schienen dahinzuschwinden. Sie wurden leiser und entfernten sich offenbar immer mehr.
    »Festhalten!«, rief Cosimo. »Jetzt geht's los!«
    Das wilde Heulen der wutentbrannten Katze wurde plötzlich verschluckt vom Kreischen des Windes. Im selben Moment fiel Kit kopfüber ins Unbekannte.

FÜNFTES KAPITEL

    D er nächste Augenblick war erfüllt vom schrillen Heulen des Windes und dem heftigen Regen, bei dem man nichts mehr sehen konnte. Das Unwetter dauerte jedoch nur ein oder zwei Sekunden. Als Kit wieder sehen konnte, fand er sich auf Händen und Knien in einer anderen finsteren Gasse wieder. Sie stank nach Urin und Schmutzwasser. Und der Sturm, der sie hergebracht hatte, flaute rasch ab.
    »Sind wir ...?«, begann Kit und rang nach Luft.
    »Wir sind nun in Sicherheit«, beruhigte Cosimo ihn. »Wir sind ihnen entwischt. Sobald du bereit bist, sollten wir weitergehen.«
    Kit spie und hob seinen Kopf. Sie befanden sich zwischen zwei Fachwerkgebäuden - die so nahe beieinander standen, dass er mit ausgestreckten Händen beide Wände berühren konnte. Der Durchgang lag in tiefer nächtlicher Dunkelheit. Kit nahm sich zusammen und stand auf. Er spürte etwas Widerliches an den Händen und wischte es an seiner Hose ab. »Wer waren diese Kerle?«
    »Das wirst du alles noch erfahren, mein lieber Junge«, antwortete Cosimo. »Aber hier ist nicht der Ort dafür ... und nicht die Zeit. Das Beste ist, wenn wir uns auf den Weg machen.« Er streifte seinen Mantel ab und gab ihn Kit. »Zieh das an.«
    »Ist schon in Ordnung. Ich bin nicht allzu nass geworden.«
    »Er soll dich nicht wärmen, mein Junge. Wir müssen deine Kleidung verbergen.«
    »Was ist denn an meiner Kleidung verkehrt?«
    »Wir wollen nicht die falsche Art von Aufmerksamkeit auf uns ziehen.«
    Kit zog den Mantel über, und Cosimo führte sie aus dem Durchgang heraus. Sie betraten eine Straße, die von matt glühenden Laternen beleuchtet wurde, welche recht willkürlich an Pfosten und Häuserfenstern hingen. Die meisten Gebäude bestanden aus Holz und zeichneten sich durch die alte Fachwerkbauweise aus: Sie waren schwarz und weiß und besaßen steile Giebeldächer sowie winzige Fenster mit Rautenmustern und weit unten angebrachte Traufen. Vor den Häusern hatte man schmale, hölzerne Wege errichtet. Ein Pferdekarren fuhr polternd vorbei und verschwand in der Nacht.
    Irgendetwas an der Atmosphäre dieses Ortes fühlte sich für Kit auf unheimliche Weise vertraut an. »Ist das etwa London?«, fragte er.
    »Gut beobachtet!«, lobte Cosimo und zog eine altmodische Uhr aus einer Innentasche heraus. »Wir sind ein wenig spät dran und müssen uns daher beeilen. Hier entlang.« Er begann die menschenleere Straße hinunterzustürmen. »Beweg dich zügig, aber mit Bedacht.«
    »Nach dir.« Kit folgte ihm und spürte augenblicklich, wie sich sein rechter Schuh in etwas Weiches senkte. Sein empfindlicher Magen wurde sofort vom stechenden Geruch frischen Pferdedungs überfallen. Zu spät begriff er, was sein Urgroßvater gemeint hatte. »Oh, wirklich mit Bedacht«, murmelte er und kratzte mit dem Schuh eifrig über eine Bordsteinkante.
    Sie bogen in eine größere Durchgangsstraße ein und stiefelten weiter; gelegentlich gingen sie durch dünne Nebelbänke, die mit Kohlenrauch vermischt waren. Es gab nur wenige andere Fußgänger auf der Straße. Hin und wieder ratterte eine Kutsche an ihnen vorbei, und das beruhigende Klappern von Pferdehufen erzeugte eine rhythmische Begleitmusik, während sie weitermarschierten. Kit bestaunte die monumentalen Fassaden von Gebäuden, die zwar meist aus Holz errichtet waren, ihm jedoch unter ihrer dicken schwarzen Rußschicht vage bekannt vorkamen. Er wunderte sich auch darüber, wie

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