Die Zeitwanderer
Leben noch nie etwas so Liebliches gesehen hatte. Das engelhafte Wesen bewegte sich mit harmonischer Anmut, während es das Genick eines heranstürmenden Angreifers mit einem perfekten Tritt gegen dessen Stirn brach, sodass der Mann krachend in den Staub geschleudert wurde und als zitternder Haufen verdrehter Körperglieder liegen blieb. Wie eine Balletttänzerin vollführte der Engel eine Pirouette - eine unbeschwerte Drehbewegung -, um sich Burleigh zuzuwenden, dessen Gesicht kreidebleich geworden war und der nun stolpernd nach hinten zurückwich. Fluchend hielt er sich einen Arm, der kraftlos und in unnatürlicher Haltung nach unten hing.
Arthur, der schließlich doch von Pein und Entsetzen überwältigt wurde, legte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, beugte sich der weißgewandete weibliche Engel über ihn und wiegte seinen Kopf im Schoß.
»Friede, mein Freund«, flüsterte sie. Ihre Stimme war wie tröstende Musik aus dem Paradies.
»Habt Dank«, murmelte er und versuchte, seine Hand zu ihrem Gesicht zu heben. Die Anstrengung verursachte entsetzliche Schmerzen, die wie schimmernde silberne Kaskadenfälle seinen Körper durchströmten und ihm die Luft aus den Lungen nahmen.
Sie legte eine Fingerspitze auf seine Lippen, damit er schwieg, und strich ihm sanft das Haar aus der Stirn. »Ruht Euch nun aus«, sagte sie. »Hilfe ist bereits unterwegs.«
In diesem Moment gingen die Wundschmerzen zurück; sie verebbten auf den wohlklingenden Tönen ihrer sanften, wispernden Stimme. Glückseligkeit hüllte ihn ein. Er lag da und starrte nach oben in die wunderschönsten dunklen, mandelförmigen Augen, die er sich vorstellen konnte - und hätte freudig eine Ewigkeit lang in solch herrlicher Ruhe verbracht. Ihn umhüllte die Wärme des Wissens, dass er leben und nicht sterben würde. Dann spürte er, wie er hochgehoben und auf leichten Flügeln aus dem schäbigen Hof fortgetragen wurde, der sein armseliges Grab hätte werden sollen.
Einige Zeit später wurde er wieder wach. Er nahm wahr, dass er in einem von Kerzenlicht erleuchteten Raum auf ein Bett mit wohlriechendem Leinen gelegt wurde. Es gab weitere Gestalten, die nun um ihn herum schwebten - vielleicht noch mehr Engel? Eine von ihnen tupfte mit einem warmen, feuchten Tuch auf seine tropfenden Wunden. Es roch nach Kampfer und versetzte ihm immer wieder einen stechenden Schmerz, obwohl es behutsam aufgedrückt wurde. Die Pein brachte ihn schließlich dazu, dass er aufschrie, woraufhin ein anderer Engel ihm sanft ein gefaltetes Tuch auf die Nase legte. Er atmete schwere, ekelhaft süße Dämpfe ein. Der Raum mit seinen himmlischen Wesen wurde schummrig und verschwand in ein weißes Reich der Ruhe.
Es war Schmerz, der ihn ein weiteres Mal zu Sinnen kommen ließ. Er fand sich in einem düsteren Raum wieder. Ein dünnes Betttuch bedeckte ihn, und er zitterte unkontrolliert. Der Geruch von brennenden Gewürzen und Ölen in einer Pfanne, untermalt vom Bellen eines Hundes, rief einen starken Brechreiz in ihm hervor. Er musste würgen, doch sein Magen war leer, sodass nichts hochkam. Arthur ließ sich keuchend zurücksinken. Der Schweiß brach ihm aus; sein Kopf, die Brust und die Seiten brannten, als ob glühende Kohlen unter seiner Haut schwelten.
Als er schließlich die Augen wieder öffnen konnte, sah er sich um. Das Zimmer war klein und sauber - blanker Holzfußboden, Binsenmatten an schmucklosen Wänden, ein niedriger dreibeiniger Hocker und ein Bett, das bloß aus einem einfachen strohgefüllten Lager bestand. Eine Rolle aus ineinander geflochtenen Bambusstreifen bedeckte zur Hälfte einen relativ breiten Eingang, der zu einem winzigen Garten führte. Durch die Ritzen des Bambusvorhangs konnte er einen Pflaumenbaum und darunter ein großes Kupferbecken mit Wasser sehen. Im Schatten des Baumes saß sein alter Freund, der Meister-Tätowierer Wu Chen Hu. Der Greis war tief in Meditation versunken. Seine ausdruckslosen Augen richteten sich auf die Oberfläche des Wassers im Becken, auf der ein Blatt vom Pflaumenbaum dahintrieb.
Arthur hob seine Hand und nahm sich vor, seinem Freund etwas zuzurufen. Aber selbst so eine kleine Anstrengung erzeugte solch eine Höllenqual, dass seine Bemühungen erloschen, sobald er sie begonnen hatte. Stattdessen atmete er tief ein und hielt die Luft in sich, bis der Schmerz nachließ. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit den Wunden zu. Er vermochte wenig zu erkennen, denn sie waren mit Tuchstreifen
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