Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
seinen neuen Untermietern, als er am Sonntagabend aus Budapest zurückkehrt und bei seiner Freundin Mandy S. auftaucht. An diesem ersten Abend schläft er vorsichtshalber erst mal bei seiner Freundin, genauso wie am Tag danach und auch an allen folgenden Tagen in den kommenden sechs Wochen. Erst als er seine Freundin Mandy knutschend mit einem anderen Skinhead sieht, packt er seine Sachen zusammen und zieht noch am selben Abend zurück in seine eigene Wohnung – zu den gesuchten illegalen Untermietern.
Im Rahmen seiner privaten Ermittlungen entdeckt Siegfried Mundlos ein Verbrechen. Als er mal wieder die Neubauwohnung seines Sohnes besucht, fällt ihm auf, dass das teure Cannondale-Mountainbike seines Sohnes nicht mehr vor dem Haus abgestellt dasteht, wie beim letzten Mal, als er hier war. Er ist empört und glaubt den Dieb unter den Freunden seines Sohnes auch zu kennen.
Darum fährt er nach Erfurt zum Landeskriminalamt, um Anzeige wegen Diebstahl gegen unbekannt zu erstatten und eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das LKA zu richten.
Die Ermittler beim Landeskriminalamt wie Kriminalhauptkommissar Georg Taßler waren in der Zwischenzeit auch nicht untätig. Sie haben das politische Manifest der Bombenbauer gelesen, sie merken, dass sie es mit konspirativ arbeitenden Gegnern zu tun haben, und sie wissen, dass das Trio mit Zugang zu Waffen oder Sprengstoff eine Gefahr werden könnte.
Als Siegfried Mundlos in Erfurt ankommt, empfängt ihn ein Ermittler persönlich und bittet ihn in sein Büro – den «war room» der «Ermittlungsgruppe Terrorismus/Extremismus». An den Wänden hängen die Fahndungsfotos von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, daneben Bilder der Bombenbastlergarage und eine Karte von Jena, auf der mit kleinen bunten Fähnchen alle Bombenfundorte in der Stadt markiert sind.
Der LKA-Fahnder und der Vater reden über Uwe Mundlos. Der Polizist will Siegfried Mundlos überzeugen, dass er mithilft, seinen Sohn dingfest zu machen.
«Wenn Sie Ihren Sohn dazu bringen auszusagen, könnte er die Kronzeugenregelung bekommen.» Der Vater antwortet: «Uwe Mundlos ist nicht so einer.» Dem LKA-Mann scheint es, als ob Siegfried Mundlos der Ernst der Lage nicht wirklich bewusst ist. Bei der Verabschiedung gibt er dem Vater eine Warnung mit auf den Weg:
«Herr Mundlos, wenn wir die drei nicht bekommen, besteht die große Gefahr, dass sich hier eine Braune-Armee-Fraktion bildet.»
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Teil Zwei
Die Beschleunigung
7
Nierenkolik
Die Silvesterfeierlichkeiten stecken Annerose A. noch in den Knochen an diesem 2. Januar des Jahres 1975. Sie hatte den Jahreswechsel in Jena gefeiert und sich dabei in Horst Petzold verguckt, einen alten Freund aus dem Neubaublock, neben dem sie einst mit ihren Eltern lebte.
Seit 1971 studiert Annerose A. in Bukarest Zahnmedizin. Dass sie im sozialistischen Ausland lernen darf, gilt damals in der DDR als Auszeichnung. Sie hatte gute Abiturnoten, stammt aus einer «linken Familie», wie sie selbst sagt, und ihre Eltern waren beide Arbeiter. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat wollte, dass vor allem Arbeiterkinder studieren, Kinder aus dem Teil der Gesellschaft, der früher kaum Zugang zu höherer Bildung hatte.
Rumänien war damals eines der aufregendsten Länder im Ostblock, relativ unabhängig von der Sowjetunion. Ein Jahr vor Annerose A.s Studienantritt stattete Staatspräsident Nicolae Ceaușescu sogar den USA einen Besuch ab, und US-Präsident Richard Nixon besuchte Bukarest. Rumänien hatte den Einmarsch der Sowjets in die ČSSR verurteilt. Wer als DDR-Bürger nach Rumänien reisen durfte, konnte das Gefühl haben, fast in einen Renegatenstaat zu reisen.
Als die Abiturientin A. das Angebot bekam, zum Studium nach Rumänien zu gehen, hat sie nicht gezögert. Es war die beste Gelegenheit für einen jungen Menschen wie sie, ein wenig mehr von der Welt zu sehen als das, was zwischen dem Thüringer Wald und der Ostseeinsel Rügen liegt.
In den Semesterferien, zu Weihnachten 1974, fuhr Annerose A. nach Hause. Anfang Januar sollten die Vorlesungen in Rumänien weitergehen. Die Tage in Jena hatten sich für sie bisher vergnüglich gestaltet. Bis zum 2. Januar 1975.
An einem Tag hat sie starke Bauchschmerzen und wird mit Verdacht auf Nierenkolik ins Krankenhaus eingeliefert. Doch der behandelnde Arzt stellt fest: Annerose A. hat keine Kolik, sie liegt in den Wehen. Sie ist nicht krank, sie bekommt ein Kind.
Wenige Stunden nach dieser Diagnose wird am 2. Januar 1975
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