Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
in Jena das Mädchen Beate geboren – das später Beate Zschäpe heißen wird.
Man kann nicht behaupten, dass Beate ein Wunschkind ist. Annerose A. passt es überhaupt nicht, plötzlich Mutter zu sein. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihr Bauch war auch nicht merklich angeschwollen. Niemand hatte die Schwangerschaft vorher bemerkt. Weder ihre eigene Mutter noch ihr neuer Freund Horst Petzold und noch nicht einmal eine befreundete Krankenschwester.
In wenigen Tagen soll Annerose A.s Studium in Rumänien weitergehen, sie will den Platz dort auf keinen Fall verlieren, viel zu sehr genießt sie das süße Leben mit den Kommilitonen aus aller Welt in Bukarest. Soll das etwa alles jetzt schon vorbei sein? Muss sie mit 22 Jahren etwa schon erwachsen werden? Wenn sie nur bis zum Sommer 1976 durchhält, ist sie mit ihrem Studium fertig und kann als Zahnmedizinerin arbeiten.
Zwei Wochen nach der Geburt geht sie zurück nach Rumänien. Das Baby lässt sie in Jena.
In Bukarest wartet jemand auf sie: Valer Boankic. Ihr Mitstudent an der Zahnmedizinischen Fakultät der Universitatea din Bucureşti ist der Vater von Baby Beate, sagt Annerose A.
Beate Zschäpe, die Frau, die in ihrem Leben später alles andere dem Hass auf Ausländer unterordnen wird, ist selbst Halbrumänin.
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Der Stiefvater
Valer Boankic bestreitet, dass er der Vater des kleinen Mädchens ist, das das erste halbe Jahr allein bei seiner Oma in Jena aufwächst. Als Beate zwölf Wochen alt ist, gibt die Großmutter sie tagsüber in die Kinderkrippe. Währenddessen ist die Mutter von Beate Zschäpe weiter in Bukarest, als gäbe es kein Kind in Deutschland.
Im Sommer 1975 besucht der deutsche Freund der Mutter, Horst Petzold, seine neue Liebe zwei Wochen lang in Rumänien. Sie reisen mit einer Studentengruppe ins Donaudelta.
Mit dabei ist auch: Valer Boankic. Während der Reise verspricht die junge Mutter Annerose A. ihrem deutschen Freund Horst, dass sie ihn noch dieses Jahr heiraten werde. Und wenn sie bald ein Ehepaar sind, dann ist Beate quasi ja auch seine Tochter.
Gemeinsam planen sie, wie es weitergehen soll. Nachdem Horst Petzold zurück in der DDR ist, kündigt er seine Arbeit in Suhl, um nach Jena zu ziehen und auf das gemeinsame Kind aufzupassen. Er bittet sein Kombinat, ihn nach Jena zu versetzen. «Ich dachte, dass ich mit Annerose nichts falsch machen könnte, schließlich kannten wir uns, seitdem wir Kinder waren, über zwölf Jahre lang.»
Er wird versetzt und holt das fremde Kind Beate zu sich.
Seitdem Beate Zschäpe neun Monate alt ist, wächst sie also bei einem Mann auf, mit dem ihre Mutter in ihrem ganzen Leben nicht mehr als vier Wochen gemeinsam verbracht hat. Petzold nimmt das Baby in der Wohnung seiner Eltern in Jena auf, in die auch er erst mal wieder einzieht. Petzolds Mutter und er kümmern sich von nun an um Beate Zschäpe.
Am 29. Dezember 1975 heiratet Annerose A. ihren Jugendfreund Horst Petzold in Jena. Wenige Tage später ist sie wieder in Rumänien.
Als im Sommer 1976 ihr Zahnmedizinstudium endet, freut sich Horst Petzold, dass seine Frau endlich nach Jena zurückkommt. Nun werden sie eine richtige Familie sein, das kleine Mädchen gemeinsam großziehen. Dass Beate nicht seine leibliche Tochter ist, stört Petzold kein bisschen. Er hat sie jetzt bereits über ein Jahr allein aufgezogen, sie ist ihm ans Herz gewachsen. «Wir wollten damals das Beste für das Kind», sagt Petzold heute.
Es wird Juni, Juli, August. Über das Telefon der Nachbarn ruft Petzold in der DDR-Botschaft in Bukarest an, die Leute dort sollen ihm helfen, seine Frau zu finden. Auch die Botschaft findet sie nicht sofort. Erst nach Wochen meldet sich ein Diplomat bei Horst Petzold zurück: «Wir haben Ihre Frau im Norden des Landes, in Iași, gefunden.» Sie lebe dort mit einem Kommilitonen aus dem Zahnmedizinstudium in der Villa seines Vaters. Der Name des Studenten: Valer Boankic.
Es dauert noch einmal drei Wochen, bis sie wieder in Jena ist. Zufällig sieht Horst Petzold seine Frau eines Morgens an einer Straßenbahnhaltestelle stehen. Er ist verärgert, aber er vergibt ihr. Jetzt soll ihre gemeinsame Zeit beginnen.
Annerose Petzold findet schnell Arbeit in einer Zahnarztpraxis, zumindest sagt sie das ihrem Mann. Dort ist sie von früh bis spät, zu Hause verbringt sie nicht viel Zeit. Erst abends kommt sie zurück zu Mann und Kind.
Jena liegt in einem Kessel, zwischen Bergen, eine kleine, überschaubare Stadt. Aber es ist auch eine lebendige
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