Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
seinem Kurs wissen, dass Mundlos ein Rechter ist. Er verheimlicht seine Meinung nicht, kommt mit Kurzhaarschnitt, schwarzer Bomberjacke und Springerstiefeln in den Unterricht. Im ansonsten eher alternativen und linken Kolleg ist er der einzige Neonazi.
Nach dem Unterricht verzieht sich Mundlos gern in seinen kleinen Raum im Studentenwohnheim. Im fünften Stock des Heims bewohnt er das Zimmer 511. Vor dem Fenster hängen Metallrollos. Die kaum 15 Quadratmeter hat er mit zwei Kleiderschränken, einem Schreibtisch, einem Kühlschrank sowie einem Wandregal zugestellt – und drei Liegen. Denn oft bekommt er Kameradenbesuch aus Ostthüringen.
Der Kleiderschrank ist voll mit Klamotten, fast alle Sachen hat er von zu Hause mit nach Ilmenau genommen. Im Regal stehen ein Wecker, ein alter DDR-Fernseher und eine Ausgabe des BGB, des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Über seinem Schreibtisch hängt ein Korkbrett, an dem Stundenpläne angebracht sind. Auf den Schreibtisch selbst hat Uwe Mundlos einen Bilderrahmen gestellt, in dem ein Porträt steckt. Es zeigt Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter.
Am 10. September werfen Uwe Böhnhardt und seine Freundin Beate Zschäpe rohe Eier auf das von der DDR errichtete Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Rudolstadt. Der Platz vor dem Denkmal hieß in der NS-Zeit Adolf-Hitler-Platz und wurde nach Kriegsende in «Platz der Opfer des Faschismus» umbenannt. Böhnhardt und Zschäpe verteilen Flugblätter, auf denen sie den Bürgermeister der Stadt beleidigen. Es ist ihre erste Aktion gegen amtierende Politiker – und gegen den Staat, den sie zunehmend ablehnen. Der Ort des Anschlags, Rudolstadt, ist auch Wohnort von Tino Brandt. Er ist einer der Anführer der «Anti-Antifa Ostthüringen» und wird später den «Thüringer Heimatschutz» (THS) gründen.
An einem Freitagabend im September 1995 findet in Jena das jährliche Altstadtfest statt. Im Zentrum essen die Menschen Würstchen vom Holzkohlegrill und trinken Bier, es ist sehr voll. Aber eine Gruppe fällt trotzdem in der Menge auf: etwa hundert junge Männer mit kahlen Köpfen und Bomberjacken. Am Anfang bleibt alles ruhig.
Im Jenaer Planetarium, dem ältesten der Welt, spielt derweil die Gothicband «Goethes Erben». Vor allem Studenten sind gekommen, sie sitzen sogar auf dem Boden, das Konzert ist ausverkauft. Eine größere Gruppe Neonazis hat sich vor dem Gebäude aufgebaut. Für sie spielt die Band «Zeckenmusik». Gegen halb elf knallt laut der erste Stein gegen die Glasscheiben des Planetariums, aber noch bekommen die Leute im Inneren nicht mit, was draußen los ist. Dann zersplittern insgesamt zwölf Panzerglasscheiben, die Angreifer versuchen, in den Saal einzudringen. Die Ausgänge verschließen die Skins von außen mit Ketten. Sie haben sich über ein Funktelefon zusammengerottet, ermittelt die Polizei später. Um das Planetarium herum finden Polizisten außerdem Flugblätter einer «Volksfront Thüringen».
Die Polizei kann gerade noch verhindern, dass die Skinheads das Konzert stürmen. Ein Augenzeuge, der damals als Reporter der Ostthüringer Zeitung über den Angriff berichtete, meint, dass es in dem überfüllten Saal fast eine Massenpanik gegeben hätte. In der Nacht nimmt die Polizei 31 Personen fest und stellt einen Opel mit Rudolstädter Kennzeichen sicher. Um 0:30 Uhr verhaften die Beamten weitere Neonazis in der Innenstadt. Unter ihnen ist auch: Tino Brandt.
Am Tag der Deutschen Einheit, am 3. Oktober 1995, finden Polizisten an Häuserwänden überall in Jena Schablonengraffiti. Zu sehen sind der Kopf eines Wehrmachtssoldaten und die Worte
«NATIONALER WIDERSTAND»
Die Graffiti finden sich nicht nur an der Hauptpost in der Innenstadt, sondern auch an einer Polizeistation im Neubaugebiet Lobeda. Die militanten Jenaer Neonazis greifen nicht mehr nur Jugendclubs an, in denen Linke herumhängen, nicht mehr nur Studentenkneipen, sie wenden sich jetzt gegen den Staat.
«Wir, der Nationale Widerstand, werden euch eure jahrelangen Demütigungen heimzahlen». Das steht auf einem Schild, das um den Hals einer Puppe hängt, die einen Monat später gefunden wird. Die lebensgroße Figur baumelt an einem Heizungsrohr in der Nähe der Jenaer Brauerei. Sie trägt einen Mantel und eine Hose. Die Buchstaben für den Text haben die Täter aus Zeitungen ausgeschnitten.
Es ist der 9. November 1995, Jahrestag der Reichspogromnacht. Vor 57 Jahren haben die Nazis Hunderte Synagogen sowie Tausende jüdische Häuser und
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