Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Jugendlichen noch mit Samthandschuhen anfassen.» Zwischenruf: «Das ist eine Unverschämtheit. Es steht Ihnen nicht zu, unsere Jugendlichen zu kriminalisieren.»
Genau auf diese Haltung haben sich in den neunziger Jahren viele rechtsextreme Jugendliche im Freistaat Thüringen zurückgezogen: Sie fühlen sich zu Unrecht kriminalisiert.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verteilen Anfang August Handzettel in Jena. Auf ihnen steht: «Wir gedenken Rudolf Heß.»
Am 10. August 1996 unterschreibt Beate Zschäpe den Mietvertrag für eine Garage in der «Garagengemeinschaft An der Kläranlage e.V.» in Jena. Für 70 DM im Monat mietet sie den Raum «zur Einstellung von 1 Kraftfahrzeug», wie es im Mietvertrag heißt. Zur Vertragsunterzeichnung bringt sie einen jungen Mann mit, ihren Freund, wie sie sagt. Zschäpe hatte die Garage in einer Zeitungsannonce gefunden. Der Schuppen steht leer, weil der Besitzer selbst ihn nicht braucht. Der Mann arbeitet als Kriminalpolizist bei der Polizeiinspektion Jena – und hat den gleichen Nachnamen wie Beate Zschäpes Großmutter.
Zu seiner ersten Baustelle im neuen Job muss Uwe Böhnhardt nach Eisenach. Nach sechs Wochen fängt er sich dort eine Sommergrippe ein, liegt mit Fieber im Bett. Nachdem er die Krankschreibung bei seinem Vorarbeiter eingereicht hat, feuert ihn die Firma fristlos. Anfang September 1996 wird er wieder arbeitslos. Die nächsten acht Monate ist er beim Arbeitsamt als «arbeitssuchend» registriert.
Aber Uwe Böhnhardt gibt nicht auf, seine Mutter reißt ihm immer wieder Stellenanzeigen aus der Zeitung heraus. Auf eine Anzeige «Bauarbeiter gesucht!» meldet er sich und wird von der Firma eingeladen, die ihren Sitz an der französischen Grenze hat. Er packt sein Werkzeug und seine Klamotten in eine Riesenreisetasche und fährt mit froher Erwartung gen Westen. Als die Eltern tagelang nichts von ihm hören, rufen sie bei dem Unternehmen an. Die Stimme am Telefon druckst herum. «Sagen Sie ihm Bescheid; er soll morgen anrufen, oder ich gehe zur Polizei und melde ihn als vermisst», sagt Brigitte Böhnhardt. Als Uwe nach einer Woche endlich zurückruft, berichtet er den Eltern, dass er und die anderen Bewerber auf Kriminelle hereingefallen sind: Nach der Ankunft sind alle in einen Kleinbus gepfercht und zu irgendeiner Dorfkaschemme gefahren worden. Dort haben sie erfahren, dass es gar keine Baustelle gibt. Sie sind in eine Drückerkolonne geraten und sollen Zeitungsabos verkaufen. Geld und Papiere hat man ihnen gleich nach der Ankunft abgenommen.
In ihrer Not geht Brigitte Böhnhardt noch am selben Tag ein paar Hauseingänge weiter zu Uwes Freund André K. Mit seinen breiten Schultern würde er bei der Drückerkolonne Eindruck schinden, denkt sie. Sie gibt ihm Benzingeld. Gleich am nächsten Tag machen sich K. und Beate Zschäpe auf den Weg, ihren Freund zu befreien. Sie holen ihn aus den Fängen der Drücker und sind noch am Abend zurück in Jena. Die Drückerkolonne ist vermutlich die letzte Arbeitserfahrung, die Uwe Böhnhardt in seinem Leben macht.
Beate Zschäpe ist seit dem Ende ihrer Gärtnerlehre auch schon wieder sechs lange Monate ohne Beschäftigung. Ihren Traum, Kindergärtnerin zu werden, hat sie längst aufgegeben. Doch auch als gelernte Gärtnerin findet sie keine Stelle. Darum ist sie froh, als das Arbeitsamt ihr etwas anbietet. Sie kennt den Betrieb sogar: Ab Mitte September 1996 ist Zschäpe wieder in der «Jenaer Jugendwerkstatt» angestellt, einer überbetrieblichen Maßnahme der Stadt Jena. Sie bekommt eine ABM-Stelle als Malerhelferin. Zusammen mit anderen arbeitslosen Jugendlichen streicht sie in Kindergärten, Schulen, Vereinen an – und in der Straffälligenhilfe Jena.
Zschäpe ist sich für nichts zu schade, erinnert sich später der Leiter der Jugendwerkstatt, Michael Strosche. In weißer Malerjacke und -hose fährt sie jeden Morgen auf eine Baustelle. «Sie war eine von den Motivierteren, war engagiert und hat andere mitgezogen», sagt Strosche. Durch Naziparolen sei sie nicht aufgefallen, obwohl damals viele Jugendliche in der Werkstatt mit Bomberjacke und Springerstiefeln ankamen. «Sie ist eher durch ihre intelligenten Äußerungen aufgefallen und hat sich von vielen anderen Jugendlichen dadurch abgehoben.»
Nach einem Jahr endet die ABM-Maßnahme.
In Erfurt steht der Holocaust-Leugner und vorbestrafte Rechtsterrorist Manfred Roeder vor Gericht. Es ist der 26. September 1996. Roeder hat ein paar Monate zuvor mit schwarzer und
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