Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
50 Kilometer entfernt von Jena. Hier gibt es ein Stadtteilzentrum, das die Ostthüringer Neonazis gern unterwandern würden, Gorndorf soll eine «national befreite Zone» werden.
Die «Anti-Antifa» ist ein Arm der Kameradschaftsszene, in der sich gewaltbereite junge Neonazis in den neunziger Jahren organisieren. In dieser Phase sieht sie ihre Aufgabe in der «Feindaufklärung»: Die jungen Rechten veröffentlichen Namen, Adressen und Fotos von Linken, Gewerkschaftern und soziokulturellen Zentren, um diese einzuschüchtern. Aus der «Anti-Antifa» wird später der «Thüringer Heimatschutz» entstehen.
Uwe Böhnhardt wird in diesem Jahr gerade 18, Beate Zschäpe ist 20 Jahre alt und Uwe Mundlos 22. Böhnhardt lässt sich zum Maurer ausbilden, Zschäpe schließt ihre Lehre als Gärtnerin ab, und Uwe Mundlos besucht nach dem Ende des Wehrdienstes das Ilmenau-Kolleg, wo er auf Wunsch seines Vaters das Abitur nachholt. Er will danach studieren. Nach außen hin beginnen alle drei ein bescheidenes bürgerliches Leben.
Aber nach Feierabend und Schulschluss versuchen sie, aus Deutschland ein anderes Land zu machen – mit Gewalt. Angespornt durch die THS-Treffen unter älteren Kameraden, starten sie die ersten Aktionen.
Schon 1994 soll Uwe Böhnhardt eine Bombenattrappe in ein Hochhaus in Jena-Lobeda gelegt haben, in das Ausländer einziehen sollten. Das erzählt ein Kamerad Jahre später der Polizei.
Nach Erkenntnissen des Staatsschutzes aus den neunziger Jahren beginnen Zschäpe und Böhnhardt 1995 ihre rechtsterroristische Karriere. Ihr erstes Ziel ist ein Heiligtum der DDR-Heldenideologie. Zschäpe soll im September 1995 zusammen mit anderen Tätern (unter anderem Böhnhardt) eine Sprengstoffattrappe am Denkmal für die Opfer des Todesmarsches von Buchenwald abgelegt haben.
In diesen Monaten findet das BKA im westlichen Teil der Bundesrepublik 13 Waffen- und Sprengstoffdepots von Rechtsterroristen, darin befinden sich unter anderem 27 Kilogramm TNT-Sprengstoff. Im Laufe der Ermittlungen gegen den Rechtsterroristen Peter Naumann findet die Polizei im März 1995 zwei Rohrbomben in seiner Wohnung.
Am 12. Juni 1995 bauen Handwerker Garderobenständer und Ankleidekabinen im ehemaligen Horten-Kaufhaus am Jenaer Inselplatz aus und entdecken dabei eine funktionsfähige Bombe. Das Landeskriminalamt Thüringen (LKA) bestätigt, dass in der Bombe TNT enthalten ist. Verschiedene Medien berichten, es seien «mehr als 70 Gramm» gewesen. Gibt es eine Verbindung zwischen diesem Fund und der militanten Neonaziszene? Die Polizei kann 1995 keine Täter ermitteln.
CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble spricht am 8. und 9. Juli 1995 in Nürnberg auf dem Deutschlandtreffen der Schlesier, das unter dem Motto «In Verantwortung für Schlesien» steht: «Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben, wir Deutsche, in diesen fünfzig Jahren seit Kriegsende viel erreicht. Und ich denke, wir haben Anlass, dankbar zu sein. 1990 die Wiedervereinigung mit der ehemaligen DDR, mit Mitteldeutschland, erreicht. Der Preis war hoch. Wir mussten uns mit der Oder-Neiße-Grenze abfinden … Wir haben uns mit der Grenze abfinden müssen … es ist so …, aber mit dem Verlust der Heimat der Deutschen im Osten finden wir uns nicht ab … Das kann niemand verlangen.»
Während der Rede kommt es zum Tumult in der Halle des Nürnberger Kongresszentrums. Als Schäuble sagt: «Wir mussten uns mit der Oder-Neiße-Grenze abfinden», buhen junge Männer mit akkurat gezogenen Scheiteln. Viele Rechtsextremisten fühlen sich verraten, weil Schäuble die Grenze anerkennt.
In dieser Zeit lebt Uwe Mundlos an den Wochentagen bereits in Ilmenau im Thüringer Wald. Im Kolleg strengt er sich an, ist fleißig und strebsam, gehört bald zu den Besten in der Klasse; besonders gute Noten hat er in Chemie, Physik und Mathematik. Seinen Mitschülern fällt vor allem seine Pünktlichkeit auf. Einer erinnert sich: «Er war regelrecht pedantisch, kam keine Minute zu früh oder zu spät.» Nach der Stunde ist er aber sofort wieder verschwunden. Auf Klassenfotos versteckt er sich in der hinteren Reihe und dreht sich weg, sobald der Fotograf abdrückt. Mit den anderen 40 Schülern seines Jahrgangs will er nicht viel zu tun haben. An den Wochenenden fährt er stets zurück nach Jena.
«Er ist uns eigentlich nur optisch aufgefallen, bei Diskussionen im Unterricht oder abends bei Partys hat er sich immer rausgehalten», sagt eine Klassenkameradin von damals. Alle in
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