Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Ostthüringen»
Das fünfte Jahr nach dem Ende der DDR ist ein entscheidendes für Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Zwischen 1995 und 1998 radikalisieren sich die drei mit zunehmender Beschleunigung. Nach drei, vier Jahren in der rechten Szene reicht es ihnen nun nicht mehr, im Jugendclub gegen Ausländer zu hetzen und stolz mit Bomberjacke durch die Neubaugebiete Winzerla und Lobeda zu ziehen.
Die Neonaziszene in Deutschland ist gewaltbereiter geworden – allein in den Jahren 1993 und 1994 haben Rechte 24 Menschen ermordet. Dagegen ist die Szene in Jena harmlos. Doch das Trio isoliert sich zunehmend von den braunen Kameraden, sogar von den gewaltbereiten Skinheads in der Stadt. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sind geschult, sie fühlen sich als Elite. Und sie kommen in Kontakt mit zwei führenden Rechtsterroristen und Mördern.
Es geht ihnen jetzt um Taten, nicht um Worte. Sie glauben, genug geredet zu haben. Endlich wollen sie dem Staat zeigen, was sie können.
Einige Neonazis lehnen den Staat als nicht legitimen Nachfolger des «Großdeutschen Reiches» ab, viele sehen in der Bundesrepublik aber auch einen heimlichen Verbündeten. Jahrzehntelang war sie antikommunistisch, so wie sie. Bei der Asylpolitik glauben viele Nazis in ihrer selektiven Wahrnehmung, auf der Seite des Staates zu stehen, zumindest auf der der konservativen Parteien.
Am 19. April 1995 fährt der 26-jährige amerikanische Rechtsradikale Timothy McVeigh einen Lastwagen vor das «Alfred P. Murrah Federal Building» in Oklahoma, ein Regierungsgebäude. Kurz nach 9 Uhr explodiert eine Bombe in dem LKW, 168 Menschen sterben. Es ist einer der schwersten Terroranschläge in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
McVeigh ist fasziniert von den «Turner Diaries», einem Science-Fiction-Roman, der großen Einfluss auf Neonazis in den USA und Europa hat. Das Buch erzählt von einer kleinen Gruppe Neonazis, die in den Untergrund abtaucht und gegen die «jüdisch kontrollierte US-Regierung» kämpft. Die rechte Zelle schafft es, einen Rassenkrieg auszulösen, die USA zu erobern und die gesamte nichtweiße Bevölkerung auszulöschen.
Im Gegensatz zu US-amerikanischen Neonazis, die ihre Hauptgegner in der amerikanischen Regierung sehen und Anschläge wie in Oklahoma verüben, gibt es in Deutschland nur wenige Angriffe und Anschläge von Rechtsextremisten gegen den bundesdeutschen Staat.
Es kommt sogar zu Kontakten zwischen staatlichen Institutionen und Rechtsradikalen. Mitte der neunziger Jahre lädt die Bundeswehrakademie den verurteilten Rechtsterroristen und Holocaust-Leugner Manfred Roeder als Dozent ein. Im Januar 1995 spricht er in Hamburg vor 25 hochrangigen Mitgliedern des Stabs der Akademie über «Die Übersiedlung der Rußland-Deutschen in den Raum Königsberg». Nach dem Auftritt bekommt er von der Bundeswehr ausrangierte Autos für seinen Verein «Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk» geschenkt, obwohl der Verein bereits im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird.
Holger G. zufolge gab es in den neunziger Jahren hitzige Diskussionen in der Kameradschaft darüber, ob man für seine Ideologie mit Waffen kämpfen dürfe. Diese Gespräche waren ein wichtiger Wendepunkt für Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Im Gegensatz zu den Neonazifreunden sind sie sich sicher, dass «man mehr machen müsse», erinnert sich G. Das Trio ist für den politischen Kampf mit Waffengewalt. «Sie waren die Hardliner damals», sagt Holger G., der später zum Unterstützer der Zelle wird. Böhnhardt habe die Haltung der drei geprägt: Sie seien für Pistolen und Gewehre gewesen. «Ralf und ich haben uns gegen die Bewaffnung mit Schusswaffen ausgesprochen, André K. war eher unentschlossen.»
Diese Radikalisierung bleibt den Sicherheitsbehörden verborgen. Aber durch andere Aktionen tauchen die drei ab 1995 im NADIS auf, dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem des Thüringer Verfassungsschutzes. Vor allem ihre regelmäßigen Besuche von Veranstaltungen der «Anti-Antifa Ostthüringen» haben sie verdächtig gemacht. Am 21. Juni 1995 wird Uwe Mundlos in internen Aufzeichnungen des Verfassungsschutzes zum ersten Mal namentlich unter ungefähr 80 Teilnehmern solch eines Treffens in Rudolstadt-Schwarza erwähnt.
Im darauffolgenden Jahr 1996 nehmen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe noch an mindestens sechs weiteren Treffen der «Anti-Antifa» teil. Meistens finden die Treffen in Gorndorf statt, einem Ortsteil von Saalfeld,
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