Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Geschäfte zerstört. 91 Menschen wurden dabei ermordet.
In der Nacht zuvor ist ein paar Dutzend Kilometer entfernt eine anonyme Bombendrohung bei der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald eingegangen.
Ebenfalls am Abend des 9. November sind 150 Skinheads aus Bayern, Sachsen und Thüringen mit Autos im Jenaer Umland unterwegs – auf der Suche nach dem Ort, wo ein illegales Rechtsrock-Konzert stattfinden soll. Die Bands «Brutale Haie», «Legion Ost» und «Vergeltung» sind angekündigt. Nur der Ort ist noch geheim und soll vermutlich spontan über ein Infotelefon verbreitet werden. Doch die Polizei erfährt davon. Durch einen Großeinsatz kann das Geheimkonzert verhindert werden, 46 Rechte werden die Nacht über in Gewahrsam genommen. Unter ihnen auch fünf Anführer der Thüringer Naziszene.
Zeitgleich überfallen 15 Neonazis zwei Jugendliche an einer Rudolstädter Tankstelle. Fünf mutmaßliche Täter werden von der Polizei noch in der Nacht wegen schwerer Körperverletzung festgenommen.
In der darauffolgenden Nacht vom 10. auf den 11. November explodiert in Jena gegen 23:30 Uhr ein Sprengsatz im Waschraum eines Heimes, in dem bosnische Kriegsflüchtlinge untergebracht sind. Unbekannte Täter haben die selbstgebastelte Bombe durch ein offenes Fenster geworfen. Zum Glück wird niemand verletzt.
Zu den Graffiti und der Puppe bekennt sich Tage später eine Gruppe ohne Namen. In dem Brief, der am Computer erstellt wurde, heißt es:
«Heil Euch Kameraden!
Aus Anlass des ‹9. 11. – Tag des Volkes› dachten wir uns, Euch eine kleine Kostprobe des nationalen Lagers zu zeigen.»
Unverhohlen machen sich die Autoren über die Polizei lustig. Zu den «Wandparolen» heißt es: «Besonders erfreulich ist hierbei, dass diese Parolen auf großen Zuspruch stießen und dadurch auch heute noch (…) zu besichtigen sind.» Die Puppe sei «stellvertretend für alle Volksverräter» aufgehängt worden. Das Schreiben endet mit dem Satz:
«Wir hoffen, dass Euch dieser Anblick erfreut und verabschieden uns mit – volkstreuem Gruß.»
Manche meinen, der Text des Bekennerschreibens stamme von Uwe Mundlos.
Die Lage in Jena eskaliert.
Anfang 1996 taucht ein Held der Szene bei den Ostthüringer Nachwuchsnazis auf: Karl-Heinz Hoffmann, der einflussreichste Rechtsterrorist der bundesdeutschen Geschichte.
Hoffmann hat in den siebziger Jahren die «Wehrsportgruppe Hoffmann» gegründet. In paramilitärischen Camps bildete der ehemalige Porzellanmaler über vierhundert junge Männer im bewaffneten Kampf aus. Die Mitglieder seiner Organisation dienten als Ordner bei NPD-Veranstaltungen und planten, die Macht im Staat zu übernehmen. Nachdem die Wehrsportgruppe verboten worden war, erlangten zwei ehemalige Mitglieder unrühmliche Bekanntheit: Ein Ex-Wehrsportler tötete 1980 bei einem Selbstmordanschlag auf dem Oktoberfest 13 Menschen, ein anderer erschoss im selben Jahr in Erlangen einen jüdischen Verleger und dessen Partnerin.
Nach sechs Jahren im Gefängnis ist Hoffmann 1989 entlassen worden und in seine Heimat zurückgezogen – nach Kahla bei Jena. Hier erhält er sein Elternhaus zurück und wird zu einem der größeren Immobilieninvestoren der Stadt nach der Wende.
Anfang des Jahres 1996 knattert er auf seinem schweren Motorrad durch eine Kleingartensiedlung am Rand von Kahla. Einige Wochen später folgen rechte Jugendliche und richten sich auf einem angrenzenden Feld am Fuße der Leuchtenburg einen Garten ein. Sie kommen hierher zum Biertrinken, Grillen – und um schießen zu lernen.
Tino Brandt pachtet das Berggrundstück vom rechtsnationalen Coburger Verleger Peter Dehoust, Brandt möchte hier «Zeltlager und Sonnenwendfeiern» veranstalten. Um die 20 junge Männer halten sich regelmäßig auf dem Gelände auf, unter ihnen ist auch Uwe Böhnhardt.
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«Vorsicht, Bombe!»
Am 1. März 1996 wählen die Delegierten der NPD einen Politikwissenschaftler und ehemaligen Luftwaffesoldaten zum Vorsitzenden. Udo Voigt übernimmt die an der Schwelle zur Bedeutungslosigkeit stehende rechtsextreme Partei von einem Mann, der gerade wegen Volksverhetzung ins Gefängnis gesteckt worden ist. Dieser 1. März ist ein wichtiger Tag in der Geschichte der Neonazibewegung nach der Wiedervereinigung.
Voigt verordnet der Partei eine vollkommen neue Strategie. Er ruft den «Kampf um Köpfe, Straße und Parlamente» aus und arbeitet mit den gewalttätigen Skinheads der Freien Kameradschaften zusammen. Diese
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