Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
flüchtig, warum irgendjemand ausgerechnet in so einer Gegend einen Kerker bauen ließ. Aber der Wohlstand an sich war in diesem Fall eine gute Tarnung. Und wer es sich leisten konnte, einen Magier, und sei er auch so jämmerlich wie Lok, zu kaufen, der konnte sich auch die nötigen Banne leisten, um das Geschrei und den Gestank daran zu hindern, aus dem Fenster zu entfleuchen. Das erinnerte mich wieder an das Mädchen, das den Bann gebrochen haben musste, um mich aufzuspüren. Die Tatsache, dass ich daran erst erinnert werden musste, sagte einiges über meinen Allgemeinzustand aus.
Rasch sah ich mich nach Spuren um, die mir verraten konnten, was ihr zugestoßen war, auch wenn ich in diesem Punkt nicht viel Hoffnung hatte. Ich bin kein Spurensucher, und selbst wenn ich einer wäre, ist die Innenstadt kein guter Ort, um ohne einen Hund auf die Jagd zu gehen. Als ich in der kurzen Zeit, die mir meiner Einschätzung nach blieb, ehe meine Feinde allmählich wieder zum Problem werden dürften, nichts fand, wandte ich mich zum Gehen. Genau in diesem Moment machte Triss, der sich inzwischen wieder ausreichend erholt hatte, um sich hinter mir in der Gasse umzuschauen, ein Geräusch, das sich anhörte wie ein überkochender Kessel auf glühenden Kohlen.
»Was ist?«
Triss kreiste um eine in meinen Augen vollkommen unauffällige Stelle am Boden. »Zass war hier. Er kam von oben. Ich kannihn in den Steinen schmecken, auf denen er und Devin gelandet sind.«
Derweil spürte ich, wie meine Augenbrauen vor Überraschung den Weg zum Haaransatz antraten. Zass bedeutete Devin, aber das war es nicht, was mich erschreckte. Ich war mehr als nur halb überzeugt gewesen, dass er irgendwie in die Geschichte verwickelt war, und sei es nur wegen meiner derzeitigen Pechsträhne. Nein, was mich erschreckte, war die Tatsache, dass Triss Zass’ Anwesenheit feststellen konnte. Nie hatte ich auch nur gerüchteweise von derartigen Fähigkeiten der Finsterlinge gehört.
Ehe ich ihn danach fragen konnte, deutete ein Geräusch am näheren Ende der Gasse darauf hin, dass wir unseren zeitlichen Spielraum überzogen hatten. Rasch blickte ich zu den Dächern hinauf, von denen Devin gekommen und zu denen er vermutlich zurückgekehrt war. Aber selbst mit Triss’ Hilfe würde ich es in meinem derzeitigen Zustand nicht die glatten, verputzten Wände hinauf schaffen. Mein Nima hatte ich bereits übermäßig beansprucht. Würde ich noch mehr Magie anwenden, müsste ich sterben und Triss mitnehmen. Selbst wenn mir danach gewesen wäre, Triss hätte es nicht gefallen – ich spürte den Schmerz und die Erschöpfung, die durch unsere Verbindung tröpfelte, auch wenn er versuchte, seine Gefühle vor mir abzuschirmen.
Er musste wissen, dass man manchmal einfach loslassen musste, ganz gleich, wie sehr man sich wünschte, dranzubleiben.
Statt also Devin zu verfolgen, bat ich Triss, mich in sich zu verstecken, und ging los. Wir ließen die Gasse über das entferntere Ende hinter uns, wo wir uns nach links wandten und hangabwärts trotteten in die Richtung, in der ich hoffte, zur See und zum Hafen zu gelangen. Nach einem oder zwei Häuserblocks kannte ich mich wieder aus – die Alten Stallungen, was bedeutete, ich musste meinen Kurs ändern und den Gipfel des Kanatheahügels überqueren, um nach Hause zu kommen.
Einen Moment hielt ich inne, um meine Position im Gedächtnis zu verankern, damit ich die Gasse und den Kerker später wiederfinden würde. Dann drehte ich mich zu den Stolprern und dem Greifen um und ging langsam weiter. Nach einer Weile ließ ich Triss in meinem Schatten entspannen, um seine Kraft für eventuelle Notfälle aufzusparen. Der Weg war eine einzige Quälerei, und ich brauchte dringend mindestens fünfzehn Stunden Schlaf und eine dreifache Portion Frühstück.
Die wenigen Leute, die mir unterwegs begegneten, machten einen weiten Bogen um mich. Wer hätte es ihnen auch verdenken können? Ich sah aus wie ein heiliger Bettler, bekleidet mit nichts außer einem Lendenschurz und überzogen von blutigen Wunden und blauen Flecken. Als die ersten Straßenhändler ihre Stände öffneten, war die Versuchung groß, hier und da um ein paar Münzen zu bitten, damit ich mir ein Frühstück kaufen konnte. Das köchelnde Congee und die brutzelnden Würstchen rochen wie eine Scheibe vom Himmel. Aber ich konnte mir den Ärger nicht leisten, den unbefugtes Betteln mir mit den echten Gossenheimern einbringen würde, also sah ich davon ab. Die Gosse hatte
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