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Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly McCullough
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Menschen einem Mann in meinen Jahren niemals begegnen werden.« Er wedelte mit der Hand. »Abgesehen von dir, natürlich, junger Aral. Du beschreitest geheimnisvolle Wege und siehst vieles, was dem gewöhnlichen Volk verborgen bleibt.«
    Ich lächelte und fragte, vermutlich schon zum zwanzigsten Mal: »Wie alt seid Ihr, Harad?«
    Er erwiderte das Lächeln und zwinkerte mir zu, während ich auf die gewohnte, neckische Ausflucht wartete, doch sie blieb aus. Stattdessen wich sein Lächeln einer nachdenklichen Miene.
    »Willst du das wirklich wissen? Ehrlich?«
    »Neugier ist eine meiner hartnäckigsten Sünden.« Gewiss, ich hatte dringendere Fragen und Pflichten, doch Harad war in den zehn Jahren, seit ich ihn kennengelernt hatte, nicht sichtbar gealtert, und ich wollte wirklich mehr darüber erfahren. Dies mochte meine einzige Chance dazu sein. »Diese Neugier war es, die mich seinerzeit überhaupt hergeführt hat.«
    »Vor einer Dekade, in dem Jahr, in dem der Schlächter Ashvik – möge er ewig in der tiefsten Hölle brennen – getötet wurde. Ich erinnere mich, als wäre es erst gestern gewesen.« Wieder lächelte er. »Und in dem großen Buch, das mein Leben beinhaltet, ist das nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Also gut, mein neugieriger Junge. Ich werde dir eine Antwort geben ... in ein paar Minuten. Komm mit mir in meine Küche, dann werde ich uns Tee kochen.«
    Den Tee hätte ich gern ausgeschlagen, da er mich immer so sehr an Efik erinnerte, aber das hätte den erhofften Informationsfluss womöglich im Keim erstickt, also schnaubte ich und grummelte: »Nun wollt Ihr mich foppen.« Triss drückte kurz meine Schulter, was mir verriet, dass ich ihn durchschaut hatte.
    »Nein. Ich ziehe es nur vor, die Dinge zur richtigen Zeit zu tun, und die richtige Zeit für diese Geschichte ist nicht mehr weit.«
    »Ganz wie Ihr wollt, alter Mann.«
    »Weit mehr Jahre, als du auf der Welt bist, habe ich exakt nach dieser Prämisse gelebt, und ich sehe keinen Grund, das noch zu ändern.«
    Ich grinste. Neben Triss war Harad die Person, die heutzutage einem Freund in meinem Leben am nächsten kam. Anders als in der Beziehung zu Fei oder Jerik oder irgendeiner anderen meiner tienisischen Kontaktpersonen gab es zwischen uns kein Schuldverhältnis, weder in Blut noch in Geld. Nur ein gemeinsames Interesse an Büchern und allem, was sich zwischen ihren Deckeln befand. Das war es, was uns ursprünglich zusammengeführt hatte. Ich hatte mich eines Nachts in die Bibliothek geschlichen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich einmal von meinem Auftrag, Ashvik zu töten, lösen musste – die Dinge waren nicht gut gelaufen, und ich war frustriert. Ich wollte weiter nichts als eine beliebige leichte Lektüre, um mich von der Geschichte für eine Weile aus mir selbst heraustragen zu lassen.
    Harad hatte mich erwischt, wie ich in eben dem Leseraum, in dem nun meine Ausrüstung wartete, mit der Nase in ein Buch vergraben war, eine besonders reißerische Abenteuergeschichte, übersetzt aus dem Kanjurischen. Es war schon ein ziemlich merkwürdiger Augenblick, als er höflich an den Türrahmen klopfte – die Tür selbst war bei seinem Herannahen geräuschlos verschwunden – und sich leise räusperte, um mir seine Anwesenheit kundzutun.
    Natürlich war ich beschämt, eine Klinge, die sich von einem Bibliothekar erwischen ließ. Aber er war, wie ich später erfuhr, auch ein außergewöhnlich mächtiger Magier, was zweifellos auch etwas damit zu tun hatte. Bis heute bin ich nicht sicher, warum er sich entschlossen hatte, anzuklopfen, statt mich hinauszuwerfen oder die Wespen zu rufen. Was auch der Grund war, es bereicherte mich um ein Gefühl der Gelassenheit, das zu erleben ich nie erwartet hätte. Statt eine Waffe zu ziehen oderauf andere Art feindselig zu handeln, legte ich einfach das Buch weg und sagte: »Hallo?«
    Daraufhin war er eingetreten und hatte mich nach meiner Anwesenheit in seiner Bibliothek und meinen Absichten gefragt. Und übrigens auch danach, ob mir das Buch gefiel. Ich erklärte ihm, dass mir die Geschichte durchaus zusagte, ich die Prosa der Übersetzung jedoch für erbärmlich hielt. Das wiederum führte zu einer angeregten Diskussion über Übersetzungen im Allgemeinen, sowohl in schriftlicher wie auch in mündlicher Form. Seither genoss ich eine Art von inoffizieller Mitgliedschaft in der Bibliothek und die Bekanntschaft mit dem wohl einzigen Menschen in ganz Tien, mit dem ich mich unbelastet von allem

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