Innere des Kühlschranks. War Orangensaft drin? Milch? Etwas, was er morgens als Erstes schnell runterschlucken wollte? Seine Mom hasste es, wenn er Kaffee trank, und behauptete, es könnte sein Wachstum hemmen, dabei war das ja anscheinend durch nichts aufzuhalten. Seine Arme und Beine fühlten sich jetzt schon zu lang an für seinen Körper, aber egal. Er trank jeden Tag in der Schule Kaffee, wollte einfach auch mit dazugehören.
»Ja, schon«, sagte er schließlich als Antwort auf ihre Frage. »War schon ganz cool, ja.«
Er hievte den großen Milchkarton heraus und führte ihn an die Lippen, nahm einen großen Schluck und stellte den Behälter wieder hinein. Dann wandte er sich zu ihr um und hoffte – was? Dass er mit ihr reden konnte? Dass sie ihm zu Hilfe kam?
Sie schaltete den Herd aus. Das Teewasser hatte noch gar nicht gekocht. Wie konnte er ihr erzählen, dass er mit Daisy rumgemacht hatte? Ihr diesen heftigen Stoß versetzt hatte? Zu viel getrunken hatte? Ständig laberte seine Mom davon, wie dankbar … blablabla … sie sei, dass sie ihm vertrauen konnte.
Dabei hoffte er, sie könne all das wundersam erahnen, könne seine Gedanken lesen und ihm augenblicklich verzeihen, so wie früher, als er klein war. Stattdessen sagte sie jetzt: »Okay, okay, Mom hat einen Kater.« Mit diesen Worten schob sie sich an ihm vorbei, fast so, als wäre sie gar nicht seine Mom, sondern eine Mitbewohnerin oder eine fremde Erwachsene, die in seiner Wohnung lebte. Als wüsste sie tatsächlich nicht Bescheid oder scherte sich nicht drum, dass mit ihm was nicht stimmte.
»Weiter so, Mom«, sagte Jake.
Sie schlurfte in ihr Zimmer, um den Rausch auszuschlafen.
Es war bereits da. Bis Mittag hatte sie das verdammte Ding bereits gedreht und an ihn geschickt.
[email protected]. Die E-Mail befand sich in Jakes Mailbox. Er lud sie herunter und konnte es nicht fassen, was er da vor sich hatte. So etwas hatte er noch nie gesehen – nicht mal bei McHenry, nicht mal, als der solche Sachen wie »Big Booty« und »Two Girls One Cup« gegoogelt hatte und sie sich das Zeug gemeinsam angeguckt hatten, bis es langweilig wurde. Das hier war keine Spur langweilig. Und Jake war alles andere als gelangweilt. Er konnte in dem Moment gar nicht fassen, was er da sah. Sollte er das überhaupt anschauen? War das denn legal?
Er schaltete den Computer aus. Mit einem bloßen Knopfdruck. Er ging mit der Maus nicht erst auf das Apple-Logo und dann runter zu »Ausschalten« oder machte irgendwas von dem, was er sonst jeden Tag routinemäßig machte. Er drückte einfach auf den Knopf. Auf die Art konnten Daten verloren gehen, aber daran dachte er in dem Moment nicht. Er machte es einfach. Sein Biologielehrer hätte es eine autonome Reaktion genannt.
Schwer atmend wartete er eine Weile, während ihm hinten am T-Shirt der Schweiß herunterlief. Dann drückte er den Knopf, um den Computer wieder einzuschalten.
Er musste lange warten, so lange, dass er gar nicht glauben konnte, wie lange er warten musste. Er hätte den Computer doch nicht abschalten sollen! Jetzt musste er ewig warten, bis sich erst das schwarzweiße Windrädchen drehte, dann das bunte – was er ätzend fand. Und dann stellte er fest, dass er das Ding bereits heruntergeladen hatte. Er brauchte sich gar nicht einzuloggen. Also schaute er es sich nach einem Doppelklick einfach noch mal an. Daisy in dem Röckchen. Daisy mit der Musik. Daisy ohne Unterwäsche. Daisy.
War das Pornografie? War es überhaupt sexy? Er fand es schon sexy, war sich aber nicht sicher. Es war wie eine heiße Kartoffel. Die musste er jemand anderem zuwerfen.
»Check mal das hier«, tippte er. Dann leitete er die E-Mail an Henry weiter.
Er schaute sich das Video wieder an. Wieder und immer wieder.
Sein Handy begann zu vibrieren. Es gab einen schrecklichen Ton von sich, als es in seiner Jeanstasche auf dem Fußboden summte, wo er es gelassen hatte. Als er hinschaute, sahen die Jeans aus, als würden sie erschauern, als zitterten sie vor Scham. Als fühlten sie sich dafür schuldig, wo sie am Vorabend gewesen waren. An seinem Körper. An seinem schrecklichen, widerlichen Körper. Jake streckte den Fuß aus und zog sie herüber – auf seinen Zehen waren ja Haare! Seit wann hatte er eigentlich Haare auf den Zehen? Er fand sich ja so widerlich! Dann beugte er sich hinüber, um die Jeans aufzuheben. Bis er das Handy aus der Hosentasche gekramt hatte, war der Anruf bereits in der Voicemail gelandet. Er rief die