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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Nachricht auf. Es war Henry.
    »Jake, Alter, was soll der Scheiß? Ruf mich an.«
    Und das tat er. Er rief Henry an. Er rief ihn sofort an, doch es war zu spät. In den dreißig Sekunden, die es gedauert hatte, den Anruf abzuhören und sich zu melden, hatte Henry das Ding bereits an James und Davis weitergeleitet. James saß nebenan an seinem Laptop. »Whooaa, Scheiße!«, schrie er. »Komm her!«
    »Nein, Alter«, rief Henry zu ihm hinüber. »Komm du hierher!«
    Keiner der beiden Brüder konnte den Blick abwenden.
    Am Montag war es dann überall, in der ganzen Schule. Übers Wochenende hatten es alle gesehen, und diejenigen, die es noch nicht gesehen hatten, hörten davon, sobald sie auf dem Schulgelände ankamen. In der Bibliothek waren einige dabei, es sich herunterzuladen und anzuschauen. Henry hatte es an James und Davis weitergeleitet. James hatte es sich sofort heruntergeladen, das Ding angeschaut und war dann, als Henry ihn rief, von seinem Schreibtisch aufgestanden und in dessen Zimmer hinübergegangen, als der gerade mit dem völlig ausgeflippten Jake telefonierte. Inzwischen hatte Davis es schon an Django und McHenry weitergeleitet, und McHenry hatte es umgehend an fünf oder sechs andere Typen geschickt – von denen bloß drei, darunter Luke, ebenfalls auf die Wildwood gingen, die anderen kannte er vom Sommercamp. Und es dann vergessen. Es war über die ganze Schule verbreitet, über die ganze Stadt. Und dazu noch über ganz Connecticut. Manche entdeckten es auf Pornoseiten. Es war landesweit, ja vielleicht sogar weltweit verbreitet. So schnell. Einfach so: Weiterleiten und Senden. Eigentlich unglaublich, wie schnell es ging. Schneller als Feuer. Praktisch in Schall- oder gar Lichtgeschwindigkeit.
    (Bis Ende der Woche hatte Jake das Video von einem Freund aus Ithaca zugeschickt bekommen, der nicht mal wusste, dass es in New York gestartet worden war, obwohl es inzwischen in den Nachrichten gekommen war, obwohl Hubschrauber von Eyewitness News vor Ort in der Schule gewesen waren, und obwohl es in der New York Post gestanden hatte.)
    Daisy. »Daisy und die Keule.« So war es auf der Pornosite gelistet, die Henry ihm am Montagmorgen weitergeleitet hatte, bevor sie sich auf den Weg zur U-Bahn gemacht hatten. In der Nacht davor hatte keiner von beiden ein Auge zugetan, stattdessen hatten sie krampfhaft versucht, den Überblick zu behalten. Das verdammte Video war einfach überall. Es verstopfte Jakes Mailbox, irgendwelche Leute schickten es ihm, ohne zu wissen, dass es ja für ihn gedacht gewesen war, dass er Muse und Inspiration dafür war und es selber verbreitet hatte. Es war einfach überall.
    »Ubiquitär«, sagte Henry in der U-Bahn. »Ökumenisch. Panoramisch. Katholisch.«
    »Die ganze Welt weiß davon«, sagte Jake kläglich. »Es kam aber von ihr «, erklärte er Henry zum hunderttausendsten Mal.
    »Es war ihre Entscheidung, dir das Ding zu schicken«, meinte Henry.
    »Sie wusste, dass so etwas auch weitergeleitet werden konnte.«
    »Oh ja«, sagte Henry. »Sie wollte wahrscheinlich auch, dass du es weiterleitest. Darauf hat sie’s angelegt. Du bist unschuldig, Alter. Mach dir nichts draus.«
    Als sie auf dem Schulgelände ankamen, hielt Jake den Kopf gesenkt. Henry ging breitschultrig neben ihm. Wie ein Leibwächter. Aber nicht lang. »Bis später, Alter«, sagte Henry und zog ab zu den Mathematik-Unterrichtsräumen. Jake musste sich ganz schön zusammenreißen, um ihm auf dem Korridor nicht hinterherzurennen. Er hatte sich durch Henrys Gegenwart irgendwie beschützt gefühlt. In der ersten Stunde hatte er Chemie, und als er genau beim Läuten auf seinen Platz rutschte, flüsterte Zack Bledsoe ihm ins Ohr: »Weiter so, Baby.« Dass Zack Bledsoe ihn Baby nannte, war an sich schon recht bizarr und leicht widerlich. Jake geriet vollkommen in Panik. Er hörte überhaupt nichts von dem, was Mr Carmichael über Chemie zu erzählen hatte. Als es läutete, blinzelte er und blickte um sich, als hätte er gerade einen epileptischen Anfall überstanden oder wäre aus dem Koma erwacht.
    »Ey, Zack«, sagte Jake, »meinst du, ich könnte mir mal deine Notizen anschauen?«
    »Klar, Baby«, erwiderte Zack, »wenn du mir deine Schönheitstricks verrätst.« Dann lachte er viel zu laut, bis sein Bauch wabbelte.
    In der zweiten Stunde hatte Jake Sport, was echt gut war, denn da konnte er den Basketball in den Korb legen und sich ein bisschen abreagieren. Später im Umkleideraum kam dann aber Django auf ihn zu und

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