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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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schon, Jakey«, sagte Daisy und versuchte, Luke imitierend, ihn auf den Nacken zu küssen.
    »Nein, ich hab gesagt, nein!« Jake stieß sie weg. Er stieß sie so heftig weg, dass sie gegen McHenry flog. »Lass mich in Ruhe.«
    »He!« McHenry warf abwehrend die Hände hoch, als wollte er sagen: »Ich war’s nicht.«
    »Jake!«, mahnte Audrey, als Daisy anfing zu weinen.
    »Tut mir leid, Daisy.« Jake streckte die Hand aus, um ins Leere zu tätscheln, und zog sie dann wieder an sich. »Verdammt, es tut mir leid. Du bist einfach noch zu jung«, entfuhr es ihm plötzlich.
    »Bin ich nicht«, erwiderte Daisy unter Tränen, während ihr die Wimperntusche übers Gesicht lief. Sie sah lächerlich aus und klang auch so.
    Jake betrachtete ihren verschmierten Mund. Er war derjenige, der ihn verschmiert hatte.
    »Bin ich nicht«, wiederholte sie und stampfte mit dem Fuß auf.
    McHenry stampfte ebenfalls schnaubend mit dem Fuß auf, und alle lachten. Alle, inklusive Jake, inklusive Audrey. Daisy lief knallrot an.
    »Ich muss jetzt weg hier«, sagte Jake. Er bahnte sich zwischen den Partygästen einen Weg.
    »Komm, wir können uns doch ein Taxi teilen«, rief McHenry hinter ihm her. Aber Jake blieb nicht stehen. Er blieb nicht stehen, bis er die Treppe hinauf und aus dem Haus gelaufen war, hinaus in die frische, kühle Luft. Dort im Freien konnte man die Bäume riechen.
    Draußen war wieder alles wirklich, mit Häusern und Rasenflächen, etwas, das er wiedererkannte. Er lief den Hügel hinauf zum Highway, immer weiter. Er lief und lief die ganze Strecke auf dem Seitenstreifen des Highways und dann den Hügel hinunter nach Kingsbridge und von dort weiter, weiter, weiter die Treppe hinunter in die U-Bahn. Er wartete auf dem Bahnsteig, dann stieg er in die U-Bahn und fuhr damit bis nach Hause.
    Als Jake zu Hause ankam, war es spät. Richtig spät. So spät war er noch nie auf oder unterwegs gewesen. Draußen auf den Straßen war es still. Er hatte Glück, dass seine Mutter nicht da war und womöglich die Bullen verständigt hätte. Sein Dad schlief bereits. Das war das Gute an seinem Dad. Der kümmerte sich – und dann doch wieder nicht. Jake klopfte an seine Tür und erwiderte auf sein Brummen: »Ich bin da«, wie man es ihm beigebracht hatte, und sein Dad antwortete: »Freut mich, mein Sohn.«
    Beim Wörtchen Sohn musste Jake dann doch heulen. Er legte sich aufs Bett und weinte ein Weilchen in sein Kissen. Es war alles so beschissen. Er fühlte sich total durcheinander und daneben, als würde er sich überhaupt nicht mehr kennen, und ihm fiel auf diesem ganzen Planeten auch keiner ein, der noch den Durchblick hatte. Er gehörte nicht hierher, in diese Stadt, in diese Wohnung, auf seine Schule oder in diese Familie, und nach Ithaca zurück gehörte er auch nicht mehr – in den Frühjahrsferien war er wieder dort gewesen, was irgendwie schon Spaß gemacht hatte, aber irgendwie auch dröge und ein bisschen kläglich war. Alle waren eine Spur zu nett zu ihm, als wäre er Ausländer oder behindert. In Ithaca hatte er sich auch mit einer eingelassen. Aber nicht mit einer Dreizehnjährigen, sondern mit einer Sechzehnjährigen, Johanna Shoenstein, einem ganz normalen Mädchen, bloß älter. Nicht wie dieses Baby von heute Abend. Als er bloß an Daisy dachte, überkam Jake eine heiße Welle von Verlegenheit und Scham – seine Hand auf ihrer Brust, außen auf ihrem BH … was war er für ein Idiot! Luke und McHenry und Audrey fielen ihm ein und wie sie über ihn gelacht hatten, und als er an Audrey dachte, stieß er den Kopf ins Kissen, bis er fast keine Luft mehr bekam. Dann wurde das Kissen nass, ganz aufgeweicht wurde es, und als er sich losriss, blieben eklige Speichelfäden am Kissen und in seinem Mundwinkel hängen. Jake drehte das Kissen um und bearbeitete es mit den Fäusten, dann ließ er den Hinterkopf auf die frische Seite sinken. Wieder dachte er an Daisy und krümmte sich schmerzverzerrt. In seinem Inneren zog sich alles zusammen, schob sich seine Lunge nach oben in die Kehle. Er konnte kaum atmen, so sehr schämte er sich. Er hätte sich nie mit ihr einlassen sollen. Aber er hatte ja auch Nein gesagt. Das war doch richtig gewesen, oder etwa nicht? Sie war zu jung, und überhaupt war er ja noch Jungfrau. Mit Daisy wollte er es nicht machen. Vielleicht hätte er es machen sollen, vielleicht wäre es cool gewesen, es zu machen und es hinter sich zu bringen – Henry redete ständig darüber, es zu machen und hinter sich zu

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