Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
in dem sich Lizzie immer ihren Café con Leche genehmigt, wenn sie das Auto von der Reparatur abholt (Liz und Richard gehen zu der billigsten Autowerkstatt der Stadt, Ausdruck einer gewissen Genügsamkeit, die mit ihrer Herkunft zu tun hat – sie stammen beide aus Arbeiterfamilien). Hier ist auch Fairway Uptown, wo Liz am Samstagmorgen immer ihre Besorgungen macht, und es gibt einige der schönsten, schmiedeeisernen alten Gitterwerke, riesige Spaliere, die – wundersamerweise, in Anbetracht ihres weitgehend verrotteten Zustands und der rostigen Pfosten – immer noch in der Lage sind, die überirdisch verlaufende U-Bahn-Linie abzustützen. Das charakteristischste Erkennungszeichen aber ist eine geheimnisvolle Straße ins Nichts, die in der Nähe des Flusses abrupt endet und dort an den Himmel stößt. Auf Richards Karten ist sie als stillgelegter Abzweig des West Side Highways verzeichnet, in seiner Vorstellung ist dieser anmutige, verlassene Himmelsboulevard jedoch der »Stairway to Heaven«, zu dem er als Jugendlicher so oft Engtanz gemacht hatte. (Jedes Mal, wenn er dort stand, hört er im Geiste Jimmy Page auf seiner E-Gitarre riffen.)
Wenn man durch dieses kunstvoll verzierte, korrodierte Metallgewirr in die Wolken hinaufstarrt, kommt es einem so vor, als spähte man durch einen Schleier aus schlammiger, silbriger Spitze, und das poetische Bild gefällt Richard, obwohl das Ding ja wohl wird weichen müssen, wenn es mit der Universität erst mal losgeht – außer er kann es in einen Park verwandeln, eine grüne Oase, so wie sie es im Erschließungsplan mit der High Line vorhaben, der Hochbahn, die wie eine Wirbelsäule durch das wilde Durcheinander von Tankstellen und Kunstgalerien von Chelsea nach Downtown verläuft. Die Möglichkeiten sind unendlich! Die Tücken unzählig. Daher die umfassende, erhebende Freude an seinem Job.
Und das Beste: Bei all den grundlegenden Vorteilen der örtlichen Gegebenheiten ist dieser westlichste Ausläufer von Harlem praktisch unbewohnt – jedenfalls für New Yorker Verhältnisse. Hier wohnen tatsächlich gar nicht viele Leute.
In dem Dreivierteljahr, in dem Richard nun die Erweiterungspläne für den Bau eines neuen Uni-Campus in Manhattanville vorangetrieben hat, war er bemüht, es allen recht zu machen – sensibel, wie er nun mal ist, im Hinblick auf das Fehlverhalten der Universität vor knapp vier Jahrzehnten, als die Bemühungen, neue Studentenwohnheime und eine Stadionhalle zu bauen, in Rassenunruhen endeten. Es ist wichtig, dass sie es diesmal richtig machen. Das hat Richard immer wieder gesagt. Erst zu Lizzie, als er von Cornell abgeworben wurde und sich mit dem Gedanken trug, die neue Stelle anzunehmen, eines späten Abends nach dem Sex, wenn sie immer die besten Gespräche führten, als sie nicht so rastlos und er total entspannt war, als der leichte Wind feucht und schwülheiß von den Ithaca Falls herüberwehte und die Kinder schliefen und diese intensive Freude am Leben – die Wasserfälle, was für eine Musik! – ihn beinahe aufspringen ließ, nackt, noch ganz hart und feucht, um nach dem Hörer zu greifen und den obersten Verwaltungsbeamten in New York aufzuwecken, um ihm zu sagen: Nein, nein, ich bin viel zu verdammt glücklich hier, als dass ich es riskieren wollte, mein Leben zu ändern. Lizzie hatte Rock und T-Shirt vom Boden aufgelesen und übergestreift und nach einem Blick durchs offene Fenster neben dem gemeinsamen Bett gesagt: »Komm, wir setzen uns auf die Veranda, es ist so eine schöne Nacht.« Draußen hatten sie dann wohl noch stundenlang geredet. Er hatte das Bedürfnis gehabt, ihr zu verdeutlichen, dass es bei dieser Arbeit darum ging, Gutes zu tun – das gefiel Lizzie –, dass ihn die Herausforderung durchaus reizte, dass hier die Vision eines gesellschaftlichen Miteinanders war, die er gern verwirklichen wollte. Diese Nacht, das Gespräch, das aufregende neue Projekt und ihre Bereitwilligkeit, ihm zu geben, was er wollte – durch all das fühlte er sich auf einmal wieder wie damals, als er ihr zum ersten Mal begegnet war, unschlagbar und nicht zu halten. Hier war es wieder, dieses intelligente, hübsche Mädchen, begierig, ihm zuzuhören, geistreich, aber verletzlich. Diese Verletzlichkeit war es, die ihn immer so berührte. Er staunte, dass sie immer noch bereit war, ihm überallhin zu folgen. Seine Aufgabe bestand darin, es ihr schmackhaft zu machen. Und deshalb sagt er es oft: »Alles wird korrekt zugehen.« Als ob es wahr würde,
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