Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
Mädchen. Sie sagt, ihre Eltern seien stinkreich und komplett von der Rolle, und das arme Ding sei immer völlig sich selbst überlassen gewesen. Du weißt schon, typisch Wohlstandswaise!«
»Sie sagt also, die Eltern von dem Mädchen sind schuld?«, fragte Richard.
»Ja, nein, keine Ahnung«, erwiderte Lizzie. »Was mir gefallen hat – dass sie nicht behauptet hat, wir seien schuld.« Sie überlegte eine Weile. »Und dass sie sich gemeldet hat und helfen will. Da ist sie bisher die Einzige, Richard. Die wirklich helfen will.«
Coco war den Nachmittag über also versorgt. Von Marjorie hatten sie sich den Blazer geborgt, den Jake für den Besuch beim Anwalt tragen sollte, und Lizzie hatte sich kurz hinausgewagt, um ihn bei Marjories Portier abzuholen. Die beiden Mütter hatten den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend am Telefon gehangen und dann noch mal den ganzen Vormittag. Henry hatte Riesenstunk, aber offenbar weniger Stunk als Jake. Lizzie war offenbar der Ansicht, zu mehreren sei die Sache leichter zu verkraften. Laut Marjorie hatten die Eltern das Mädchen für die noch verbleibenden Unterrichtswochen von der Schule genommen und dafür gesorgt, dass sie ihre Prüfungen extern ablegen konnte. Sie erwogen a) einen Umzug in ihr Haus in Saint Paul de Vence oder einen Umzug in ihr Haus auf Martha’s Vineyard; b) vorläufig in ihre Wohnung auf Zypern zu ziehen; c) Daisy für das nächste Jahr in eine reine Mädchenschule zu stecken oder vielleicht ins Internat; d) die Jungs und Wildwood und wer ihnen sonst noch einfiel zu verklagen oder e) alles Obige zusammen.
Richard hatte den gesamten Nachmittag und Abend des Vortages damit verbracht, Unterstützung einzuholen und juristischen Beistand ausfindig zu machen. Er staunte über die Empfehlungen, die er bekommen hatte: Thomas P. Puccio, Anwalt von Alex Kelly, einem Punker/Vergewaltiger aus Connecticut, der ein Mädchen aus seiner Highschool auf dem Nachhauseweg von einer Party überfallen hatte, nach Freilassung auf Kaution nicht zur Gerichtsverhandlung erschienen und nach Europa geflohen war, um dort sieben Jahre lang Skilaufen zu gehen und sich schließlich nach seiner Rückkehr der Situation zu stellen. Jack T. Litman, der Dreckskerl, der Robert Chambers, den »Preppie-Killer«, verteidigt hatte, einen Heroinsüchtigen, der beim »harten Sex« im Central Park eine Klassenkameradin erdrosselt hatte. Wie konnte jemand auf die Idee kommen, Jake gehöre in diese Kategorie?
Über einen der Rechtsbeistände der Uni fand Richard schließlich einen besonnenen Mann aus einer erstklassigen Kanzlei: Sean O’Halloran.
»Ich habe selber einen Sechzehnjährigen«, sagte O’Halloran am Telefon. »Da läuft’s mir kalt den Rücken hinunter.«
Richard hatte gleich morgens im Büro angerufen – eine Familienangelegenheit, hatte er seiner Sekretärin erklärt, obwohl die Geschichte bereits im Internet publik geworden war und Marjories Spione behaupteten, in der Wildwood seien heute Morgen Hubschrauber von den Fernsehnachrichten und Reporter aufgetaucht. Den Verwaltungschef hatte Richard schon am Vortag kontaktiert, vor Beginn seiner juristischen Nachforschungen. Sein Boss musste es unbedingt von Richard persönlich erfahren. Es war ein knappes, geschäftsmäßiges Gespräch gewesen. Der Verwaltungschef hatte gesagt: »Tun Sie, was Sie können, um diese Sache zu entschärfen.« Morgens sandte Richard ihm dann auch noch eine E-Mail. Er würde später anrufen, tippte er mit den Daumen in seinen BlackBerry, um die Universität umfassend über die Situation zu informieren. Am besten erst mal juristischen Rat einholen, bevor er dem Verwaltungschef seinen definitiven Plan unterbreitete.
Richard wollte verhindern, dass sein Name in die Zeitungen gelangte – immerhin ist sein Sohn noch minderjährig, obwohl er bezweifelte, dass den älteren Jungs diese Gefälligkeit zuteilwerden würde –, doch auch das scheint inzwischen aussichtslos. Im Internet ist er bereits namentlich genannt. Die Frage ist: Würden die wichtigen Entscheidungsträger an der Uni die Internet-Klatschseiten lesen, die Richard selbst bis heute noch nie besucht hatte? Und was konnte den Verwaltungschef jetzt, da er Bescheid wusste, noch davon abhalten? Es lag wohl in der menschlichen Natur zu googeln. Es war lächerlich verlockend, hochgradig süchtig machend – das Fleisch ist schwach. Marjorie hatte Lizzie mit der Nachricht angerufen: »Die Kids haben es bis auf Gawker geschafft«, und Lizzie gab es weiter,
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