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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Zimmer gestanden hätte.
    »Richard«, sagte Jakes Mutter.
    Sein Vater hob den Finger hoch, um sie zum Schweigen zu bringen. Und wenn es jetzt der Stinkefinger wäre?, überlegte Jake. In Wahrheit will er doch das: ihr den Stinkefinger zeigen.
    Ich glaub, ich dreh allmählich durch, dachte Jake.
    »Ja, Sean, danke, Sean, Gott sei Dank, Sean, ja. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Dad. Er fiel auf die Knie, er war vor Begeisterung außer sich, er strömte förmlich über.
    Es war erbärmlich.
    Ich glaub, ich dreh allmählich durch, dachte Jake.
    »Was?«, fragte seine Mutter. »Was ist?«
    Sein Vater wandte sich ihr zu. »Sean meint, die ganze negative Publicity hat dem Schulkuratorium einen gehörigen Schreck eingejagt. Und dann der grobe Schnitzer in Threadgills Büro … Der Kerl wird wohl zurücktreten müssen, meint Sean.«
    »Threadgill?«, überlegte Jakes Mutter. »Der Mann ist eine Institution. Der sitzt da seit dreißig Jahren.«
    »Sie haben mit den Cavanaughs einen Deal gemacht«, sagte sein Vater. »Und sind bereit, die Jungs wieder zum Unterricht zuzulassen, vorausgesetzt, sie werden psychologisch betreut. Jake bekommt dann natürlich eine Probezeit aufgebrummt. Darf sich nichts zuschulden kommen lassen, kann aber seine Prüfungen ablegen …«
    »Gott sei Dank!« Seine Mutter sagte es in einem Ton, als hätte jemand gerade das ultimative Mittel zur Krebsheilung entdeckt.
    Als sie Jake umarmte, konnte er den Geruch von Brot auf ihrer Haut ausmachen. Und bizarrerweise auch von Joghurt.
    »Gott sei Dank«, wiederholte seine Mutter.
    Sogar sein Vater lächelte. Jake konnte sehen, wie sich die Deckenleuchte in seinen Zähnen widerspiegelte.
    »Was für eine Art von Deal haben sie mit den Cavanaughs denn gemacht?«, wollte seine Mutter wissen.
    »Daisy wird für den Rest des Schuljahrs zu Hause unterrichtet.«
    »Es wäre ja auch Kindesmissbrauch, sie da wieder hinzuschicken«, meinte Jakes Mutter.
    Sein Vater zuckte die Achseln. Vielleicht ja, vielleicht nein. Dad wusste es nicht. Wow. Dad wusste etwas nicht!
    »Wildwood hilft ihren Eltern, ab September eine andere Schule zu finden. Die Jungs bleiben bis zu ihrem Abschluss unter akademischer Aufsicht, hat Sean erfahren.«
    »Gott sei Dank, dass es ihn gibt«, sagte Mom.
    Sie setzte sich aufs Sofa. Es war, als sei auf einmal alle Anspannung und Wut von ihr gewichen. Sie sah buchstäblich aus, als sei ihr schwach in den Knien. Lautete der offizielle Ausdruck dafür »schwabbelig«, überlegte Jake? Oder war das, wenn man dickliche Arme und Beine bekam? Er wusste es nicht mehr. Vielleicht würde man ihm jetzt erlauben, es nachzuschauen.
    »Die Klage wegen Kinderpornografie steht immer noch im Raum. Dass es dazu kommt, hält Sean aber für unwahrscheinlich. Wer war letztlich der Verbreiter des Videos – Daisy, Jake, die anderen Jungs, der Achtzehnjährige?«
    »Luke«, ergänzte Jake.
    »Alle?«, sagte Dad. »Keiner? Manche? Schließlich und endlich ist es doch fast unmöglich, all die Postings zu listen. Das Ding wurde vielleicht eine Million Mal aufgerufen, bevor die Webseiten die Links rausgenommen haben. Ich bin kein Anwalt, aber wo zieht man da die Grenze?«
    »Ach Gott.« Jakes Mutter drückte sich die Hand an ihr Herz. »Richard, glaubst du, es ist vorbei?«
    Da fing Jake an zu weinen. Er wusste nicht recht, warum, aber er weinte. Tränen liefen ihm über die Wangen.
    »Wehe, wenn nicht«, gab sein Vater zurück. Er ging zu Jake hinüber und blieb hinter ihm stehen. Dann beugte er sich hinunter, legte Jake die Arme um die Schultern und drückte ihn. Er küsste Jake auf den Kopf, ließ seine Lippen dort eine Weile verharren.
    »Das wird schon wieder werden, Jakey«, murmelte er ihm ins Haar. »Das wird schon wieder werden, Junge.«
    Da konnte Jake nicht mehr an sich halten. Er schluchzte so heftig, dass er fast keine Luft mehr bekam. Sein Vater hielt ihn im Arm, und er weinte.
    Am nächsten Morgen begegnete er zufällig Henry und James in der U-Bahn. Normalerweise fuhren sie gemeinsam zur Schule, doch diesmal riefen die Jungs nicht vorher an oder verabredeten sich und warteten auch nicht wie sonst oben an der Treppe neben dem Zeitschriftenkiosk aufeinander – obwohl Jake gehofft hatte, die Zwillinge würden bei seiner Ankunft wie von Zauberhand dort stehen, als wäre nichts geschehen. Er hatte sich etwas verspätet, weil seine Mutter ihn in die Schule fahren wollte, und sein Vater meinte, das sei eine schlechte Idee – weil es

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