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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Plätzchen backen. Sie würde Coco fragen, was sie denn gern unternehmen wollte. Liz konnte erst fliehen, wenn sie ihre Verpflichtungen gegenüber ihrer Tochter erfüllt hatte, andernfalls würde ihre Fluchtbahn geradewegs aus dem Fenster hinaus verlaufen. Und heute Nachmittag hatte Coco ihr Jahresabschlusskonzert, am Samstag dann die Aufführungen ihrer Tanzklasse (chinesischer und afrikanischer Tanz sowie Ballett). Morgen war der naturwissenschaftliche Projekttag ihrer Klasse und am Donnerstag schließlich die Vorschul-Jahresabschlussparty. Ebenfalls am Donnerstag wurden sämtliche Arbeiten des Fachs Kunst den Eltern präsentiert. Das schulweite Picknick folgte den »Versetzungsfeiern« am Freitagvormittag – Eltern waren, Gott sei Dank, nicht zugelassen –, und dann stellte eine Schülermutter ihre Stadtvilla für den sonntäglichen Brunch zur Verfügung. Offenbar teilten sich sämtliche Stadtvillen ihrer Straße einen riesigen, üppigen Hintergarten und bezahlten einen Gemeinschaftsgärtner. Dort sei es zu dieser Jahreszeit jetzt einfach herrlich, sagte die betreffende Mutter – ohne zu prahlen, bloß so als Feststellung –, besonders mit den Pfingstrosen, die, stellte Liz sich vor, gerade in voller Blüte standen. Liz war demnach aufgefordert, sich während des gesamten Wochenendes korrekt zu benehmen, obwohl in ihrem bisherigen Leben fürs Bravsein immer eine zeitliche Beschränkung von etwa drei Stunden gegolten hatte.
    Liz stand in der Badezimmertür und sah zu, wie ihr Mann seine Morgentoilette vollendete – sich die Nägel feilte, die Ohren mit Q-Tips reinigte, die Augenbrauen stutzte.
    »Glaubst du, du schaffst es zu ihrem Konzert?«, fragte Liz.
    »Ich werd’s versuchen«, sagte Richard. »Aber vielleicht eher nicht, ich habe eine Besprechung. Es sind ja sowieso hauptsächlich Mütter da.«
    »Okay«, sagte Liz.
    »Benimm dich einfach ganz normal, als hätten wir nichts zu verbergen«, sagte Richard. »Schließlich haben wir ja auch nichts zu verbergen.«
    »Ay, ay, Käpt’n«, salutierte Liz. Sie trug Yogahosen und ein ärmelloses Leibchen. Sie wollte gleich los ins Fitnessstudio, Kopfstand machen. Wenn ihr das Blut ins Gehirn schoss, würde sie die Weisheit an Richards Haltung erkennen: welchen Stellenwert der öffentliche Auftritt hatte, wie wichtig es war, die eigenen Kinder vor einem beflissen konkurrenzorientierten Publikum zu bewundern. Man musste dabei erwischt werden, wie man hinter der Videokamera strahlte, mit einer Hand heftig winkte, während die andere auf einem Touchpad herumfummelte. Das buddhistische Lebensrätsel des 21. Jahrhunderts: Wie klingt das Klatschen einer einzigen Hand? Der stumme Applaus, erzeugt von einem stolzen Elternteil, welcher dabei gleichzeitig auf seinem Smartphone herumtippt.
    »Wenn jemand fragt, wie es uns geht, sagst du: ›Allen geht’s gut, danke der Nachfrage.‹ Und beendest das Gespräch.«
    »Ich bin ja nicht blöd, Richard«, gab Liz zurück. Richard ging ihr gewaltig auf die Nerven.
    »Darin kenn ich mich aus«, sagte Richard.
    Dann ging er zur Arbeit. Offiziell war er zwar noch aus familiären Gründen beurlaubt, ging aber inzwischen wieder jeden Tag ins Büro. Er, behauptete Richard, versorgte Strauss mit Informationen, woraufhin der als sein Sprachrohr fungierte. Richard mochte ihn und genoss eigentlich sonst seine Rolle als Mentor, aber das hier fühlte sich doch eher wie Puppenspielerei an. Der Verwaltungschef mahnte zur Geduld, doch nicht einmal Liz war sich sicher, ob mit ihrem Mann nicht ganz einfach bloß gespielt wurde.
    Ihre Yogastunde begann um halb elf, war zeitlich also perfekt festgelegt, um ihrem Vormittag Struktur und Inhalt zu verleihen, damit der nicht völlig außer Form geriet. Wenn sie jetzt aus dem Haus ging, konnte sie sich noch einen Caffè Latte und ein Muffin genehmigen. Oder aber sie beeilte sich, machte ein paar Besorgungen, kaufte Fisch und Wein zum Abendessen. Sie konnte auch Zeitung lesen, eine Freundin anrufen (bloß dass sie eigentlich gar keine Freundinnen hatte; Stacey in Kalifornien schlief noch, und der Kontakt zwischen ihr und Marjorie war deutlich abgekühlt). Sie konnte ein paar Rechnungen bezahlen, die Wohnung aufräumen. Sie war eine nicht berufstätige Mutter, die sich tagaus, tagein von langweiligen Beschäftigungen zermürben lassen konnte, aber immer noch über den Luxus unbegrenzter Zeit verfügte.
    Oder sie konnte wieder an ihren Computer gehen und sich einloggen.
    Nachdem sie Daisys Video

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