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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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So dicht steht er vor ihr, dass sie ihn wegstoßen müsste, um sich Platz zu verschaffen. Sie ist auf ihrem Stuhl auf Zwergengröße reduziert. Er hat sie darauf reduziert. Sie will sich hinstellen, doch er ist zu dicht an ihr dran, und es scheint, als würden ihre Beine sie nicht tragen.
    »Mir sind fast die Beine eingeschlafen«, sagt Lizzie. »Kannst du ein bisschen zurück, Richard? Wenn du dich nicht hinsetzt, dann steh ich eben auf. Ich sitze jetzt schon so lange, dass mir die Beine kribbeln.«
    Er tritt einen Schritt zurück, torkelt, kommt wieder ins Gleichgewicht. Sie hat genug Platz, um aufzustehen, schüttelt nacheinander die Beine aus. Stampft mit den Füßen auf. Sie schenkt ihm nicht ihre volle Aufmerksamkeit.
    »Ich sag doch, ich bin nicht betrunken«, wiederholt Richard etwas schroff.
    »Okay, okay«, sagt sie. »Du bist nicht betrunken.«
    »Willst du mir denn nicht gratulieren?« Richard bedrängt sie so, dass es schon peinlich ist.
    »Aber natürlich, mein Schatz. Gratuliere!« Lizzie schaut zu ihm hoch. »Es ist ein Wahnsinnsjob, und ich bin stolz, dass sie ihn dir angeboten haben.«
    »Gratuliere«, sagt Richard, »aber …«
    »Aber Geld war für uns doch noch nie ausschlaggebend.« Sie taucht unter seinem Arm durch und findet auf der anderen Seite Platz.
    »Für dich war Geld noch nie ausschlaggebend, willst du sagen.« Jetzt dreht Richard sich voll zu ihr hin. Er merkt, wie sich wieder dieser scharfe Ton in seine Stimme schleicht. »Weil du dir darüber noch nie Sorgen machen musstest. Das erledige ich ja für dich.«
    Lizzie schweigt. Sie denkt nach. Ernsthaft? Berechnend? Richard ist zu betrunken, um es sagen zu können. »Ich weiß das alles zu schätzen, was du für uns tust, Richard, wirklich«, sagt Lizzie, »aber ich bin ohne einen Haufen Geld aufgewachsen und kann ohne einen Haufen Geld leben. Ich will einfach nicht, dass wir aus den Augen verlieren, wer wir sind.«
    Das findet Richard nun doch witzig und fängt an zu lachen. Er stützt sich mit dem Unterarm an der Wand ab und lacht.
    »Was ist? Was ist daran so witzig? Richard, Liebling, bitte, setz dich hin!«
    Er schüttelt lachend den Kopf.
    »Richard«, sagt Lizzie, einen Anflug von Panik in der Stimme.
    »Es ist einfach ein Witz, ich komm nach Hause, hab wieder mal die Lage gerettet, komme nach Hause mit dem Job meines Lebens … und du kannst nicht mal sagen, Wow! Du kannst nicht mal danke sagen?« Richard ist wütend. »Du sagst, du weißt nicht mehr, wer wir sind. Na, dann willkommen im Club. Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt er. Seine Stimme ist so kalt, sein Körper fühlt sich so kalt an. »Ich weiß nicht mehr, wer wir sind, Lizzie.«
    »Wir sind wir, Richard. Wir sind wir und haben ein Kind, das in Gefahr schwebt. Wir sind wir und müssen unser Kind beschützen.«
    »Wir sind nicht wir«, entgegnet Richard. »Unser Sohn macht eine furchtbare Dummheit, und wir verschlimmern es noch, indem wir uns völlig danebenbenehmen.«
    Lizzie streckt die Hand nach Richards Arm aus, doch er weicht zurück. Sie tritt beiseite, weiter von ihm weg.
    »Er hat einen Fehler gemacht, einen Fehler, den jeder Erwachsene auch machen könnte«, sagt Lizzie. »Du bist zu streng mit ihm. Er hat eine E-Mail weitergeleitet. Eine schockierende, groteske E-Mail, eine E-Mail, um die er nicht gebeten hatte. Das ist alles. Ohne böse Absicht. Ich bin sicher, die meisten Leute hätten das Ding ebenfalls weitergeleitet, Richard. Du vielleicht auch.«
    Richard denkt an das Video. Er erinnert sich an das Gefühl, das Daisy in ihm wachgerufen hat. Noch nie im Leben hatte er sich so gefühlt.
    »Über das Mädchen reden wir gar nicht. An sie denken wir überhaupt nicht. Sie ist noch ein Kind«, sagt Richard.
    »Ich denke schon an sie«, setzt Lizzie ihm entgegen. »Sag du mir nicht, was ich zu denken habe. Ich denke viel an sie.«
    »Aber nicht auf die richtige Art«, sagt Richard. »Du denkst nicht an sie, als wäre es Coco, als wäre das alles Coco passiert.«
    »All das hat aber auch mit Coco zu tun«, entgegnet Lizzie. »Was glaubst du, was ich heute für einen Tag hatte? Darüber will ich mit dir reden. Dass sie da nämlich mit reingezogen wurde.« Er spürt ihren heißen Atem an seiner Brust, oder ist es sein Herz? Sein Körper ist kalt, aber sein Brustkorb brennt.
    »Weil du sie nicht beschützt hast.« Richard zeigt mit dem Finger in ihr Gesicht.
    Lizzie atmet seine Anschuldigung ein, fast als wollte sie sie akzeptieren und schlucken.
    »Du hast

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