Die Zerbrochene Kette - 6
gefiel mir nicht recht, und nach und nach entdeckte ich meine wirkliche Begabung.«
»Was ist das, Jaelle?« Magda fiel ein, daß Rohana gesagt hatte, die Amazonen übten jeden ehrlichen Beruf aus. Nun war sie gespannt darauf, welchen Jaelle gewählt hatte.
»Ich bin Reiseorganisatorin«, erklärte Jaelle. »Leute, die in die Berge reisen wollen, kommen zu mir und holen sich Rat. Ich kann ihnen genau sagen, wie viele Packtiere sie für die Vorräte brauchen, wenn man die Anzahl der Leute und die Länge der Reise zugrunde legt, wo sie sie mieten oder kaufen können, wo sie Treiber für die Packtiere finden und welche Ausrüstung sie anschaffen müssen – oder ich kaufe für sie auf Kommission ein. Dann empfehle ich ihnen geeignete Nahrungsmittel, um die Männer bei guter Gesundheit zu erhalten, ich versorge sie mit Führern und Leibwächtern, sage ihnen, welche Straßen sie nehmen sollen, wie lange die Reise in der betreffenden Jahreszeit dauern wird, welche Pässe geschlossen sein oder welche Flüsse Hochwasser führen könnten, und alles andere, was sie wissen möchten. Es ist kein Geschäft, das einen reich macht, aber ich verdiene doch ganz gut dabei. Manche Leute konsultieren mich nur für eine oder zwei Stunden, und ich berechne ihnen dafür ein Honorar. Andere überlassen mir sämtliche Reisevorbereitungen, und ich erledige alles vom Einkauf der Packsättel bis zur Auswahl der Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände, die sie zu Mittwinter auf den hohen Pässen brauchen.«
»Sag mir doch«, bat Magda zögernd, »nach dem, was ich von Thendara gesehen habe – sind viele Männer bereit, einer Frau eine solche Verantwortung zu übertragen?«
»Mehr, als man glauben möchte«, antwortete Jaelle. »Rafaella, die mit diesem Geschäft angefangen hat, erzählte mir, daß sich ihre Tätigkeit in den ersten ein oder zwei Jahren fast darauf beschränkte, Eskorten für Damen zu stellen, deren männliche Verwandte keine Zeit, sie zu begleiten, und kein Vertrauen zu fremden Männern hatten. Amazonen-Leibwachen für Frauen waren sehr gefragt, weil dann sicher war, daß die Damen ihr Ziel erreichten, ohne vergewaltigt zu werden! Dann sprach sich herum, daß die von uns organisierten Karawanen schnellere Routen nahmen und ankamen, ohne daß ihnen das Futter für die Tiere ausgegangen war oder sie in den letzten vier oder fünf Tagen von Breipulver gelebt hatten, und die Damen bestanden darauf, daß wir auch die Geschäftsreisen ihrer Ehegatten planten. Jetzt haben wir so viel zu tun, wie wir gerade noch schaffen können.«
»Trotzdem finde ich, es ist eine seltsame Tätigkeit für eine Frau – hier«, sagte Magda. »Ich habe mich an die Vorstellung gewöhnt, daß das Leben einer Frau auf Darkover sehr eingeengt ist. O verdammt!« Sie saugte an dem Finger, in den sie sich gestochen hatte.
Jaelle lachte. »Laß doch, gib das einer von Rohanas Näherinnen. Sie sind froh, wenn sie etwas zu tun haben, und der Gedanke, daß sie etwas besser können als eine Freie Amazone, bereitet ihnen Vergnügen.«
Jaelle war ein Rätsel, dachte Magda. Sie hielt große Stücke auf ihre Schwestern in der Gilde Freier Amazonen – und doch konnte sie so verächtlich über andere Frauen sprechen! »Glaubst du wirklich, alle Frauen wären als Amazonen glücklicher, Jaelle?« erkundigte sich Magda.
Jaelle legte den ausgebesserten Handschuh zu seinem Partner und begann, ein paar kleine Dinge auf dem Boden ihrer Satteltasche durchzusehen. Ohne aufzublikken, antwortete sie: »Nein, das glaube ich nicht. Früher, als ich noch jünger war, dachte ich so. Und ich wünsche den Tag herbei, wo alle Frauen auf unserer Welt die Freiheit, die wir – die Gilde – uns genommen haben, durch das Gesetz erhalten statt durch Revolte und Entsagung. Aber ich weiß jetzt, daß viele Frauen in einem Leben, wie ich es führe, nicht glücklich wären.« Sie hockte auf dem Fenstersitz, die Knie unter das Kinn gezogen, das kurze Haar verwirrt, und sah wie ein halbwüchsiges Mädchen aus. Sie hielt ein Stück Band in der Hand und wickelte es, während sie sprach, geistesabwesend um ihre Handgelenke. »Rohanas Frauen – sie denken an nichts als Heirat. Der Gedanke an ein anderes Leben, als sie es führen, schockiert und beunruhigt sie. Sie finden es schrecklich, wie die Männer außerhalb des Hauses Arbeiten anzunehmen, für die sie die Kraft und die Fähigkeit hätten. Lieber dienen sie eine Zeitlang in einem Großen Haus. Und dann heiraten sie einen Mann, den ihre
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