Die Zerbrochene Kette - 6
Gewürzbrot essen, müsse sie daran ersticken. Ihre Kehle war trocken; beinahe bedauerte sie, den sauren Wein nicht getrunken zu haben. Jede Stunde saß Melora unsicherer im Sattel, aber sie beklagte sich nicht mit einem einzigen Wort. Tatsächlich sprach sie überhaupt nicht. Sie ritt mit gesenktem Kopf, das Gesicht steingrau vor Anstrengung.
Die Sonne stieg höher, das Licht wurde greller, und die Hitze nahm zu. Einige der Amazonen zogen Hemd oder Jacke höher und bedeckten ihre Köpfe damit. Rohana tat es ihnen nach, denn die Hitze war der gleißenden Helligkeit vorzuziehen. Immer wieder fragte sie sich, wie lange Melora noch werde reiten können – und sie selbst war so müde und wund, daß sie Gefahr lief, aus dem Sattel zu fallen. Da wandte sich Leeanne, die vorausritt, zurück, hob die Hand und rief Kindra. Die Anführerin rückte schnell zu ihr auf, während die anderen Frauen nach und nach anhielten.
Nach kurzer Zeit kam Kindra zurückgeritten. »In der nächsten Schlucht gibt es ein Wasserloch und Felsen zum Schutz vor der Sonne. Dort können wir die größte Hitze abwarten.« Die Frauen folgten ihr den Pfad entlang, den Leeanne ihr gezeigt hatte. Kindra ließ sich zurückfallen, bis sie neben Rohana und Melora angelangt war.
»Wie steht es mit Euch, Lady?«
Meloras Versuch zu lächeln zog nur ihren Mund ein bißchen in die Breite. »Mir geht es so gut, wie ich hoffen kann, mestra. Aber ich leugne nicht, daß ich froh sein werde, wenn ich mich eine Weile ausruhen kann.«
»So geht es uns allen. Ich wünschte, ich könnte Euch dies ersparen. Aber…« Melora wehrte ihre Entschuldigungen mit einer Geste ab. »Ich weiß ganz genau, daß Ihr und Eure Frauen das Leben für mich riskiert habt, und mehr. Die Götter verhüten, daß ich mich über etwas beschwere, das ihr für Eure und meine Sicherheit tun müßt.«
Es lag etwas in diesen Worten, das Rohana den Atem stocken ließ. Einen Augenblick lang hatte sich Melora wie ihr altes Selbst angehört: anmutig, sanft, mit der gewinnenden Höflichkeit, die sie Hoch und Niedrig gleichermaßen erwiesen hatte. So hat sie gesprochen, als wir in Dalereuth Mädchen waren. Gnädige Evanda, besteht wirklich Hoffnung, daß sie eines Tages wieder sie selbst sein und ihr Leben glücklich und frei zu Ende führen wird?
Das Wasserloch war eine trüb schimmernde Fläche von weniger als zwanzig Fuß Durchmesser. Es sah ungesund aus, aber Kindra behauptete, das Wasser sei gut. Dahinter erhob sich eine Gruppe von schwärzlich-roten, abweisenden Felsen, die purpurne Schatten auf den Sand warfen und die allgegenwärtigen Gewürzbüsche zu lavendelfarbenen Flecken auf dem trockenen Boden machten. Rohana mußte bei diesem Anblick mehr an Schlangen und Skorpione als an einen kühlen, einladenden Ruheplatz denken, aber dem sengenden Glast der Trockenlandsonne zur Mittagszeit war dieser Ort vorzuziehen.
Rohana half Melora beim Absteigen und stützte sie bei ihren unsicheren Schritten. Als sie sie im Schatten der Felsen untergebracht hatte, wollte sie ihr Pferd ans Wasser bringen. Kindra hielt sie zurück. »Sorgt für Eure Verwandte, Lady.« Sie ergriff die Zügel beider Pferde und senkte die Stimme. »Wie geht es ihr tatsächlich?«
Rohana schüttelte den Kopf. »Bis jetzt kommt sie zurecht. Mehr kann ich wirklich nicht sagen.« Sie wußte recht gut, daß jeder, der etwas von diesen Dingen verstand, gesagt hätte, Melora dürfe nicht reiten. Aber auch Kindra wußte es, und es gab einfach nichts, was sich hätte tun lassen.
»Gibt es Anzeichen für eine Verfolgung?« erkundigte sich Rohana.
»Bisher keine«, antwortete Leeanne. Jaelle war von ihrem Pferd gerutscht, näherte sich ihnen und blieb schüchtern in einiger Entfernung stehen. »Woher wißt Ihr, daß wir nicht verfolgt werden, mestra!« Sie sprach die Sprache des Berglandes mit einem leichten Akzent, aber sie war zu verstehen. Kindra lächelte das Kind an.
»Ich höre keinen Hufschlag, wenn ich mein Ohr auf den Boden lege, und so weit ich sehen kann, erhebt sich keine Staubwolke, die mir verraten würde, daß dort Männer reiten.«
»Ihr seid ja ebenso gut wie Jalaks beste Pfadfinder!« rief das kleine Mädchen erstaunt. »Ich wußte nicht, daß Frauen Pfadfinder sein können.«
»Da du in Shainsa gelebt hast, kleine Lady, wird es vieles geben, was du über Frauen nicht weißt.«
»Wollt Ihr es mir erzählen?« fragte Jaelle eifrig.
»Wenn ich Zeit habe. Weißt du denn soviel über Pferde, daß sie getränkt und abgekühlt werden
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