Die Zerbrochene Kette - 6
mich nicht erinnern, wann ich zuletzt richtig geschlafen habe. Und es wäre doch ein Jammer, würde ich jetzt schlafen, wo ich wieder mit dir zusammen und in Sicherheit bin… und ich bin glücklich… Erzähl mir alle Neuigkeiten über unsere Verwandten, Rohana. Regiert Marius Elhalyn noch in Thendara? Was ist mit unseren Leuten, unseren Freunden – erzähl mir alles«, bat sie sehnsüchtig, und Rohana brachte es nicht übers Herz, ihr diese Bitte abzuschlagen.
»Das ist eine lange Geschichte, und ich würde viele Stunden und Tage dazu brauchen. Dom Marius ist ein Jahr nachdem du entführt wurdest, gestorben. Aran Elhalyn hält ein Jahr um das andere den Thron warm, und wie üblich ist der Lord von Hastur der eigentliche Herrscher – nicht der alte Istvan, der ist senil, sondern Lorill Hastur, sein Erbe. Du erinnerst dich doch, daß Lorill und seine Schwester Leonie mit uns im Dalereuth-Turm waren? Ich dachte, vielleicht würde Lorill deinetwegen gegen Jalak ziehen…«
Melora seufzte. »Sogar ich hätte das besser gewußt. Die Hasturs haben an wichtigere Dinge zu denken als die Pflichten, die sie gegenüber ihrer Sippe haben. Und sind sie vielleicht besser als die Trockenstädter mit all ihren Fehden und kleinen Kriegen? Herrscht ansonsten Frieden?«
»Frieden, ja… Lorill hat die Terraner von Aldaran nach Thendara gebracht. Sie bauen dort einen Raumhafen, und Lorill hat seine Handlung vor dem Rat verteidigt. Einige waren entschieden dagegen, aber letzten Endes setzte Lorill sich durch, wie es die Hasturs für gewöhnlich tun.«
»Die Terraner«, sagte Melora langsam. »Ja, ich habe von ihnen gehört: Menschen wie wir von einer anderen Welt, die mit großen Schiffen von den Sternen gekommen sind. Jalak erzählte solche Geschichten nur, um über sie zu lachen; in den Trockenstädten weiß man nicht, daß die Sterne Sonnen wie die unsere darstellen und Welten erhellen, die unserer eigenen nicht unähnlich sind. Jalak machte sich gern über solche Geschichten lustig und sagte, diese sogenannten Außenweltler müßten wirklich schlaue Betrüger sein, wenn sie die Sie ben Domänen zum Narren hielten, aber kein vernünftiger Mann aus dem Trockenland ließe sich so einwikkeln…« Sie schloß die Augen. Rohana dachte zuerst, sie schlafe, und war dankbar dafür. Sie wollte versuchen, ebenfalls zu schlafen, aber ein Schatten fiel über ihr Gesicht, und als sie die Augen öffnete, sah sie Jaelle vor sich stehen. Das Mädchen flüsterte: »Seid Ihr es, die meine – unsere Verwandte ist, Lady Rohana?«
Rohana setzte sich hoch und streckte die Arme aus, und Jaelle umarmte sie rasch und schüchtern. »Wie geht es meiner Mutter, Verwandte? Schläft sie?«
»Sie schläft, und sie ist sehr müde.« Rohana stand schnell auf und zog das Kind beiseite, damit ihre Stimmen Melora nicht störten.
»Ich will sie nicht aufwecken, ich wollte nur wissen…« Jaelles Stimme zitterte. Rohana blickte auf das ernste Gesichtchen und die großen grünen Augen nie der.
Comyn, dachte sie. Sie sieht nicht wie Melora aus, aber ihr Comyn-Blut ist unverkennbar. Es wäre unrecht, sehr unrecht gewesen, sie in Jalaks Gewalt zu lassen, nicht nur unmenschlich, sondern verkehrt!
Jaelle sagte ganz leise: »Sie sollte jetzt nicht reiten; das Kind wird bald geboren werden…«
»Das weiß ich, Liebes. Wir sind hier jedoch nicht sicher, außer für eine kleine Ruhepause. Wenn wir Carthon erreichen, sind wir wieder in den Domänen und für
immer außerhalb von Jalaks Reichweite«, antwortete
Rohana ruhig.
»Aber – was wird es ihr antun? Das Reiten, die Mü
digkeit…«, begann Jaelle zögernd, dann wandte sie den
Blick ab. Rohana dachte: Hat sie Laran? Auch in der Telepathenkaste der Comyn zeigte die Gabe sich erst kurz
vor der Pubertät. Eine ausgebildete Leronis vermochte
ein Kind in Jaelles Alter mit ziemlicher Sicherheit einzuschätzen. Rohana selbst hatte von ihrem Training so
lange keinen Gebrauch mehr gemacht, daß sie im Falle
Jaelles nicht einmal raten konnte. Gerade jetzt, da ich sie
nötig habe, läßt mich die Gabe im Stich… Warum müssen Frauen immer zwischen ihrem Laran und allen anderen Dingen im Leben einer Frau entscheiden? Sie blickte auf Melora nieder, die in tiefem Erschöpfungsschlaf dalag, und dachte an die Zeit, als sie beide
junge Mädchen im Turm von Dalereuth gewesen waren
und den Gebrauch der Matrixsteine lernten, die Energien umwandelten. Sie hatten als Monitoren in den Relaisnetzen gearbeitet, die die Kommunikation in
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