Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
Rohana… versprich mir…«
Rima befahl: »Nicht sprechen, Liebes. Paßt jetzt genau auf. Ihr holt ganz tief Atem und haltet die Luft an. So ist es richtig, Liebes, noch einmal, schön tief Atem
holen. Und nun – festhalten – und einfach drücken…« Melora griff nach Rohanas Händen und klammerte
sich mit verzweifelter Kraft daran fest, während der unvermeidliche Prozeß der Geburt ihren Körper ergriff
und sie in Krämpfen schüttelte. Rima sagte in dem singenden Ton, den, wie Rohana vermutete, alle Hebammen anwandten: »Nun komm, komm, Herzchen, ja,
so ist’s brav, noch einmal drücken, kräftig jetzt. Richtig,
so ein braves Mädchen, nun komm, noch ein kleines biß
chen…«
Meloras Fingernägel bohrten sich in Rohanas Handflächen; der Kontakt überflutete sie mit Pein. Da sie
ihrer Cousine ihren Geist weit geöffnet hatte, spürte sie
die reißenden Schmerzen in ihrem eigenen Körper. Zuviel, zuviel… schlimmer als bei Kyrils Geburt… Der
Schrei, den Melora erstickte, brannte in ihrer eigenen
Kehle. Verzweifelt dachte sie: Gabriel war damals bei
mir, jetzt weiß ich, was er empfunden hat… ich weiß
jetzt, daß er alle meine Schmerzen mit mir geteilt hat. Das
war mir bisher nicht klar… zuviel, zuviel…
Sie fühlte, daß der Schmerz nachließ. Melora entspannte sich für einen Augenblick. Rima redete ihr zu:
»Und nun tief atmen, bereitet Euch auf die nächste
Wehe vor, noch ein paar von dieser Sorte, und es ist alles
vorbei.« Melora ignorierte sie und umklammerte Rohanas Hände. Sie keuchte: »Rohana, versprich mir… versprich mir… wenn ich sterbe… sorge für meine Kinder. Mein Baby, nimm mein Baby zu dir…«
Sie stöhnte, und von neuem wölbte sich ihr Körper
unter dem heftigen, zerrenden Schmerz. Rohana konnte
nicht sprechen. Doch jetzt gelang ihr der direkte Gedankenkontakt mit Melora.
-Ich schwöre es, Liebling, bei der Gesegneten Cassilda
und beim Herrn des Lichts… Sie sollen wie meine eigenen Kinder sein, und die Götter mögen mich hinwegraffen, wenn ich einen Unterschied zwischen ihnen und den Kindern mache, die ich selbst geboren habe…
Melora hauchte: »Ich danke dir… ich wußte…« Sie verlor wieder das Bewußtsein. Über ihren Kopf hinweg hob Rima, dunkel vor Schweiß, den Blick. Rohana sah Kindra neben ihnen stehen. Die Anführerin der Amazonen bemerkte ruhig: »Ich sollte jetzt besser Jaelle holen.«
Rohana sah auf den geschwollenen Leib der bewußtlosen Melora, die sich ausbreitende Blutlache, sie spürte die zurückkehrenden Qualen, und sie wand sich selbst unter dem entsetzlichen Angriff auf Körper und Geist. In heftiger Entrüstung fuhr sie auf: »Wie könnt ihr? Ist dies ein Anblick für ein kleines Mädchen…?«
Kindra antwortete unerbittlich: »Es ist ihr Recht, Lady. Würdet Ihr den Tod Eurer Mutter verschlafen wollen? Oder belügt Ihr Euch immer noch selbst, Lady Rohana?« Sie wartete nicht auf Rohanas Antwort. Rohana kniete neben Melora, achtete nicht darauf, daß sich Meloras Fingernägel in ihre Handflächen bohrten, bis sie bluteten, wurde wieder von diesem Entsetzen ergriffen, das sie auf dem Höhepunkt der Geburt ihrer eigenen Kinder erfahren hatte… Brechen, reißen, spalten, klaffen… sterben… Rohana kämpfte darum, sich von Meloras Entsetzen ein bißchen abzusondern, ihrer Verwandten Kraft zu geben, etwas, woran sie sich außerhalb ihrer eigenen Qual und Angst halten konnte. Sie murmelte Melora zu: »Wir sind bei dir, Liebes, wir sind hier, wir werden gut für dich sorgen…« Sie wußte nicht mehr, was sie sagte.
Zum ersten- und zum letztenmal schrie Melora laut auf. Es war ein langer, fürchterlicher Schrei voller Verzweiflung und Not. Und dann, gerade als die Sonne aufging, war in dem schrecklichen Schweigen ein neuer Laut zu hören: ein seltsamer, scharfer, schriller Ton, das
Weinen eines neugeborenen Kindes.
»Evanda sei Dank.« Rima hielt das nackte, blutige
Kind an den Füßen hoch. »Hört nur, wie kräftig er ist!
Den brauche ich nicht mit einem Klaps ins Leben zu rufen…«
Melora flüsterte fast unhörbar: »Gib ihn mir«, und
streckte die Hände nach ihm aus. Ihr Gesicht veränderte
sich. Das niemals versagende Wunder, dachte Rohana.
Immer, ganz gleich, wie schwer und furchtbar die Geburt gewesen war, gab es diesen Augenblick der Freude,
wenn das Gesicht sich veränderte, hell und strahlend
wurde. Melora sieht so glücklich aus, so glücklich. Wie ist
das möglich? fragte sich Rohana, ohne sich an ihr eigenes Glück zu erinnern.

Weitere Kostenlose Bücher