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Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Rima wickelte das Kind in ein
sauberes Handtuch, das sie bereitgehalten hatte, und
legte es auf Meloras schlaffen Leib. »Ein gesundes Kerlchen«, stellte sie fest.
»Jalaks Sohn«, wisperte Melora, und das selige Lä
cheln verschwand. »Was soll aus ihm werden, dem armen Kleinen?«
Rima begann scharf: »Meine Dame…«
Melora streckte die Hände aus. »Jaelle… Jaelle,
komm und küß mich… oh, Jaelle…«
Rima schrie bestürzt auf. Blut schoß in einem starken
Strahl hervor. Melora seufzte und sank zurück, das Gesicht weiß und leblos. Und unter der aufgehenden Sonne
war kein Laut zu hören außer dem Weinen von Meloras
mutterlosen Kindern.
    »Wollt Ihr tatsächlich Jalaks Sohn aufziehen, Lady Rohana?« fragte Kindra.
    Die Sonne stand hoch über dem Lager. Jaelle hatte bis zur Erschöpfung geweint und lag zwischen ihnen auf dem Sand, schlaff und schmutzig wie ein kleines Tier. Rohana lehnte halb sitzend, halb liegend an einem Stapel von Satteltaschen. Sie hatte das nackte Kind gewikkelt und unter ihrer Jacke an die Brust gelegt, wo es zappelte und mit seinem Mund nach der Nahrung suchte, die ihm verweigert wurde. Zärtlich streichelte Rohana das warme Bündel. Sie antwortete: »Was kann ich anderes tun, Kindra? Ich habe Melora geschworen, ihre Kinder sollen in allen Dingen wie meine eigenen sein.«
    Kindra empörte sich: »Er ist ein männliches Wesen aus Jalaks Blut – schreit das Blut Eurer Verwandten und Eures Pflegebruders nicht nach Rache? Steht nicht eine Blutfehde und ein Leben zwischen Euch und Jalaks Sohn, meine Dame?« Sie zog ihr Messer und reichte es Rohana mit dem Heft voran. »Er hat Melora das Leben gekostet, so daß sie nie zu ihrer schwer errungenen Freiheit gelangt ist, und er ist Jalaks Sohn. Rächt Eure Verwandten, Lady.«
    Krank vor Entsetzen erkannte Rohana, daß Kindra nichts als die Wahrheit sprach. Die Männer der Domänen von Ardais und Aillard hätten ihre Worte wiederholt: Jalaks Sohn muß für Jalaks Verbrechen bezahlen.
    Sie fühlte, wie sich das Kind an ihrem Körper bewegte, warm und kräftig. Meloras Kind, und ich habe es von ihrer Leiche aufgehoben. Sie sah zu Jaelle hin, die sich neben ihr zusammengerollt hatte, die Augen abwehrend geschlossen. Auch sie ist Jalaks Kind. Muß sie bezahlen?
    Kindra erklärte ernsthaft: »Rohana, er wird sterben, ganz gleich, was Ihr jetzt tut. Wir haben keine Amme für ihn, keine Nahrung, wir können ihn nicht richtig versorgen. Zerreißt Euch nicht das Herz seinetwegen; laßt ihn hier neben seiner Mutter liegen.«
    Langsam schüttelte Rohana den Kopf. Sie gab das Messer zurück und sah der Amazone gerade in die Augen. »Blutfehde und Rache sind für Männer, Kindra. Ich bin froh, eine Frau zu sein, die von solchen grausamen Gesetzen nicht gebunden ist. Laßt das Leben dieses Kindes, nicht seinen Tod, für den Tod meines Pflegebruders bezahlen. Ardais hat mit Valentin einen Sohn verloren, deshalb soll dieser Junge Valentin heißen.« Sie legte die Hände wie in einem Ritual auf den kleinen, zappelnden Körper. »Und er soll Pflegesohn von Ardais sein anstelle desjenigen, der von Jalaks Händen gestorben ist.«
    Kindra steckte das Messer weg und hob das Gesicht mit grimmigem Lächeln. »Gut gesprochen, meine Dame. Tatsächlich würde eine Amazone so sprechen, aber ich hätte nicht gedacht, daß Ihr es wagen würdet, die Gesetze Eures Clans und Eurer Kaste beiseite zu schieben.«
    Rohana erwiderte heftig: »Ich hoffe, ich werde es immer wagen, ein so grausames Gesetz zu ignorieren! Es mag sein, daß er stirbt, wie Ihr sagt, aber nicht von meiner Hand und nic ht, wenn ich ihn retten kann!«
    Kindra nickte. »So sei es. Ich will mit Rima reden; sie hat schon früher mutterlose Säuglinge großgezogen. Auch unsere Frauen sterben manchmal bei der Geburt, und Rima ist in alle Geheimnisse des Gildenhauses von Arilinn eingeweiht.« Sie stand auf. »Da ist noch ein Kind Meloras, das Eure Fürsorge braucht. Kümmert Euch um sie, Lady.«
    Sie ging zu den anderen Amazonen, die Melora an dem Hang hinter dem Wasserloch begruben. Rohana wandte sich Jaelle zu und begann, sanft ihr Haar zu streicheln.
    »Jaelle«, bat sie, »weine nicht mehr, Liebling. Ich weiß, nichts kann deinen Kummer heilen, aber du darfst dich nicht mit Weinen krank machen. Ich schwöre dir, daß ich dir immer eine Mutter sein will. Komm, Liebling, sieh mich an. Möchtest du deinen kleinen Bruder nicht sehen? Auch er braucht jemanden, der ihn liebt und tröstet.« Sie setzte hinzu: »Du

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