Die Zerbrochene Kette - 6
nehmen, wenn sie müde wurde, hatten ihr von
ihren spartanischen Mahlzeiten die besten Bissen aufgehoben, ihr Geschichten erzählt und Lieder vorgesungen,
um die Eintönigkeit der Reise aufzulockern, und ihr sogar Spielzeuge aus allen möglichen Gegenständen hergestellt.
Rohana glitt von ihrem Pferd, überließ es der herbeieilenden Rima, es wegzuführen, und half Melora fürsorglich aus dem Sattel. Meloras Knie knickten ein, und
Rohana mußte sie auffangen und das ganze Gewicht
ihrer Cousine stützen. Ängstlich rief sie nach Kindra.
Die Anführerin der Amazonen tauchte aus dem Schatten auf und überblickte die Situation sofort. »Also ist
Eure Zeit gekommen, domna! Ja, nur zwei Dinge auf
dieser Welt sind sicher, Geburt und der Schnee des
nächsten Winters, und beide kommen, wann sie wollen,
und nicht, wann es uns paßt. Der Göttin sei Dank, daß
wir Wasser in der Nähe haben. Ein Jammer, daß wir das
Zelt im Stich lassen mußten; kein Kind sollte mit dem
Himmel als einzigem Dach über sich geboren werden.« »Besser unter freiem Himmel als in Jalaks Großem
Haus«, stieß Melora hervor, und Kindra drückte ihr kurz
die Hand. »Könnt Ihr ein bißchen gehen, Lady? Wir werden einen Platz herrichten, wo Ihr Euch hinlegen
könnt.«
»Ich kann, was ich muß«, erklärte Melora, aber sie
stützte sich schwer auf ihre Verwandte, und Rohana
hatte furchtbare Angst. Hier, in finsterer Nacht, mitten
in der Wüste, ohne fachkundige Hilfe… Rima mag
Hebamme gewesen sein, aber die Freien Amazonen entsagen der Weiblichkeit…
»Ich hatte gehofft, durchzuhalten, bis wir Carthon erreichen«, flüsterte Melora, und Rohana gestand sich ein,
daß sie Meloras böse Vorahnungen teilte. Es mußte ihr
gelingen, stark und zuversichtlich zu erscheinen.
»Sieh, sie machen Feuer«, sagte sie. »Wir werden
Licht haben und warmes Essen, und es ist Wasser in der
Nähe.« Damit führte sie Melora in Richtung der aufzüngelnden Flammen. »Und wir haben Glück, eine dieser
Frauen ist früher Hebamme gewesen!«
Dann fiel der Schein des Feuers auf Melora, und Rohana entsetzte sich: Handgelenke und Knöchel waren
geschwollen, die Augen rot und fiebrig. Sie hätte es uns
schon vor Stunden sagen sollen, dann hätten wir angehalten… aber dann wäre das Kind geboren worden, wo es
kein Wasser gab…
Dankbar sank Melora auf die Decken nieder, die die
Amazonen für sie ausgebreitet hatten. Für einen Augenblick vergrub sie das Gesicht in den Händen; Rohana hörte sie laut und schwer wie ein Tier atmen. Dann
hob sie den Kopf und klagte: »Ich habe Durst, Rohana –
willst du mir etwas zu trinken bringen?«
»Natürlich.« Rohana wollte aufstehen, doch Melora
hielt sie fest. »Nein, nein, bleib bei mir. Habe ich dir erzählt, warum ich plötzlich entschlossen war, zu fliehen
und Jaelle wegzubringen oder sie mit eigenen Händen
zu töten, bevor dies Kind geboren würde?«
»Nein, Liebes, das hast du mir nicht erzählt…« »Als ich sie sah – wie sie mit Jalaks anderen Töchtern
spielte – sie hatten sich alle, auch Jaelle, Bänder um die
Handgelenke gebunden und spielten, erwachsen und
angekettet zu sein…«
Rohana erschauerte bis ins Mark. Schnell fiel sie ein:
»Liebes, laß mich gehen. Ich hole dir etwas zu trinken.
Meinst du, du könntest auch ein bißchen essen?« Sie ließ
Melora auf dem Deckenstapel liegen, ging an das Wasserloch, kniete nieder und spülte zitternd den Becher
aus. Sie war froh, ihr Gesicht im Dunkeln verstecken zu
können.
Nach einer Weile gewann sie die Beherrschung zurück und erhob sich. Kindra rief vom Feuer her: »Sagt
ihr, es gibt bald warmes Essen und etwas zu trinken; es
wird sie stärken für das, was vor ihr liegt. Und wir können später Fackeln anzünden, wenn es nötig sein sollte.« Irgendwie brachte Rohana es fertig, ihr zu danken. Sie
kehrte zu Melora zurück, die mit geschlossenen Augen
dalag, kniete neben ihr nieder und hielt ihr den Becher
an die Lippen. Melora trank durstig. »Bald bekommst
du warmes Essen«, versprach Rohana, »ruh dich jetzt
aus.« Sie redete weiter, sprach über alles, was ihr in den
Sinn kam, und versuchte, einen zuversichtlichen Ton
beizubehalten. Nach ein paar Minuten hob Melora die
Hand, um diesen Redefluß einzudämmen.
»Breda… « Sie benutzte das Casta-Wort für »Schwester« in der intimen Form, die auch »Liebling« bedeutete. »Lüg mich nicht an. Denke daran, was wir beide
einst waren, und behandele mich nicht wie eine Außenseiterin. Was wird geschehen?«
Mit wehem
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