Die Zerbrochene Kette - 6
eigenes Feuer geschart, aus einem großen Kessel aßen und sich laut unterhielten.
Magda dachte: Können diese Männer Räuber sein? Ob sie von Sain Scarp sind? Wieder überkam sie eine »Ahnung«. Sie hörte nicht, was Jaelle zu ihr sagte, und mußte sie bitten, es zu wiederholen.
»Ich sagte: Ist Lady Rohana immer noch lahm von dem Sturz vom Pferd? Die arme alte Frau, und das so bald, nachdem sie ihren Mann verloren hat – welche Tragödie!«
Einen Augenblick lang konnte Magda nicht glauben, was sie hörte. Dann ging ihr ein Licht auf. Sie stellte ihren Teller hin, und es gelang ihr gut, verletzten Stolz zu markieren.
»Du hast neuere Kunde von ihr als ich, oder du stellst mich auf die Probe, Schwester.« Sie sprach die übliche Anrede mit dick aufgetragener Ironie aus. »Als ich Lady Rohana zuletzt sah, war sie gesund und munter, und sie alt zu nennen, wäre eine schwere Beleidigung gewesen. Ich glaube nicht, daß sie zwanzig Jahre älter ist als ich. Was ihren Mann angeht…« – sie suchte in ihrem Gedächtnis nach seinem Namen,»… so habe ich Dom Gabriel nicht kennengelernt, aber sie sprach von ihm als le bend und wohlauf. Oder gibt es eine andere Lady Rohana in der Ardais-Domäne als die, der ich diene?«
Jaelles hübsches Gesicht nahm einen zerknirschten Ausdruck an. »Sei mir nicht böse, Margali. Lady Rohana ist meine Verwandte und die einzige von meiner Sippe, die freundlich zu dem schwarzen Schaf der Familie war. Du kannst dir denken, daß ihre Ehre mir teuer ist, und ich möchte nicht, daß irgend jemand sich ihres Namens ohne ihre Erlaubnis bedient. Ich bitte dich, verzeihe mir.«
Magda erklärte steif: »Du solltest dir besser den Geleitbrief ansehen, den ich bei mir trage.«
»O bitte…« Jaelle sah jetzt sehr jung aus. »Mach dir keine Mühe. Sherna, gieße ihr Wein ein. Trink mit uns, Margali. Sei nicht böse!«
Magda nahm den Wein an. Ihre Handflächen schwitzten; sie wischte sie verstohlen an ihrem Hemd ab. Das kann auch nur mir passieren! Diese Klippe habe ich umschifft. Aber was werden sie mir sonst noch an den Kopf werfen? Sie trank den Wein und knabberte an den Nüssen, die Rayna herumreichte. Sie waren in etwas Scharfes und stark Gewürztes eingelegt worden, und Magda fiel auf, das Jaelle, die ihre Süßigkeiten verschmäht hatte, mit Appetit von den scharfen Nüssen aß.
Sie ist jung. Doch ich darf sie nicht unterschätzen!
Lauter Lärm von den Männern um das andere Feuer riß sie aus ihren Gedanken, und sie drehte sich nach ihnen um. Sie sprachen eifrig einer Flasche zu, die sie von Hand zu Hand weitergaben, und brüllten dermaßen vor Lachen, daß sie den Sturm draußen übertönten. Magda strengte ihre Ohren an. Wenn sie von Sain Scarp sind, könnten sie etwas über Piedro wissen…
Camillas Finger schlossen sich wie eine Stahlklammer um ihr Handgelenk, und Magda hätte vor Schmerz fast aufgeschrien. »Pfui!« rügte die alte Amazone mit messerscharfer Stimme. »Bringt Temora-Haus seinen Töchtern ein solches Benehmen bei, schamloses Mädchen, daß du betrunkene Männer anstarrst wie eine Straßendirne? Dreh ihnen den Rücken, du schlecht erzogenes Balg!«
Magda riß ihre Hand von den drahtigen alten Fingern los. Vor Zorn und Demütigung traten ihr Tränen in die Augen. Im Flüsterton erklärte sie: »Ich habe mich nur gefragt, ob es Räuber sind…«
»Was sie auch sind, es geht uns nichts an«, stellte die alte Frau entschieden fest. Magda rieb sich das Handgelenk. Sicher hatte sie dort morgen blaue Flecken.
Ich mache alles verkehrt. Am besten halte ich den Mund und gehe zu Bett, sobald ich kann. Sie legte sich auf ihre Decken zurück und tat, als schlafe sie. Das Lachen und Singen der betrunkenen Räuber ging weiter.
An dem Feuer der Frauen gab es noch ein bißchen gedämpfte Unterhaltung, Kichern und Scherzen – sie zogen Sherna wegen etwas auf, das sich beim Mittsommerfest ereignet hatte. Magda verstand nichts davon. Die
Frauen machten ihre wildledernen Knöchelstiefel wasserfest, säuberten Satteltaschen, reinigten und verstauten das Eßgeschirr und begannen, sich zum Schlafen fertigzumachen.
Eine sagte: »Ich wünschte, Rafi wäre hier mit ihrer
Harfe, dann würden wir ein schöneres Lied als dies Gebrüll hören!« Sie warf einen schnellen Blick über die
Schulter auf die ausgelassene Gesellschaft am anderen
Ende der Hütte, doch wie Magda bemerkte, drehte sie
den Kopf nicht. Amazonenetikette?
Camilla erzählte: »Rafi war bei mir, als wir diese beiden Frauen in Thendara
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