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Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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anders nicht. Sie kniete neben Jaelle nieder. Jaelles Gesicht war
von Blut überströmt, und Blut durchdrang ihre Kleidung an der Schulter. Magda hob den an der Wunde kle
benden Stoff.
Das Messer des Räubers war unter dem Schlüsselbein
eingedrungen und hatte zur Achselhöhle hinuntergestochen. Es war eine schlimme Wunde, schmerzhaft und
gefährlich, aber nicht unbedingt tödlich. Von neuem zog
Magda ihr Messer und reinigte die Klinge. Eins von Jaelles Augen war blutverklebt; das andere stand offen und
starrte auf das Messer. Magda sagte gereizt: »Ich muß
deine Kleider aufschneiden, damit ich die Blutung stillen kann.« Sie schlitzte Jaelles Jacke auf und zog sie behutsam von der Haut ab. Jaelle ächzte vor Schmerz,
schrie aber nicht. Sie benetzte ihre Lippen und fragte
nur: »Hast du… sie beide getötet?«
»Der eine ist tot. Bei dem anderen weiß ich es nicht,
doch ist er bestimmt nicht in der Verfassung, uns zu
schaden«, antwortete Magda.
Jaelles Atem ging laut. »Verbandzeug… in meinen
Satteltaschen…«
Magda stand auf und zwängte sich zwischen dem toten Räuber und Jaelles Pferd hindurch. Das Tier, das das
Blut roch, tänzelte nervös. Magda führte es weg, nahm ihm die Satteltaschen ab und suchte darin. Sie fand zwei oder drei Mullbinden und etwas, das nach einer kleinen, primitiven Erste-Hilfe-Tasche aussah. Die Wunde muß wahrscheinlich genäht werden, aber das kann ich nicht. Sie machte einen Druckverband um Jaelles Schulter und untersuchte dann die lange, schreckliche Wunde in Jaelles Gesicht. Das Messer hatte die Wange bis auf den Knochen aufgeschlitzt. Mit heiserer, beklommener Stimme sagte Jaelle: »Kann mit diesem Auge… nicht sehen…«
Magda ging an den Brunnen hinter der Unterkunft, schöpfte von dem eisigen Wasser kam zurück und wusch die grausige Wunde. Die Wimpern von oberem und unterem Lid trennten sich, und bald war zu erkennen, daß das Auge nur von einer kleinen Kerbe im Lid mit Blut verklebt gewesen war. Magda zog die Lider auseinander, und Jaelle holte tief Luft vor Erleichterung.
»Kannst du gehen? Du darfst nicht hier draußen im Schnee liegenbleiben.« Magda kniete sich hin, legte einen Arm um die Frau und brachte es fertig, sie auf die Füße zu stellen. Jaelle versuchte zu gehen und brach bewußtlos zusammen. Irgendwie schaffte Magda sie in die Hütte und legte sie auf eine der Steinbänke. Sie zündete Feuer an und hängte den Wasserkessel auf, denn sie dachte, ein Rindentee oder das Korngetränk der Amazonen werde ihnen beiden guttun. Und wenn Jaelle im Schock war – es sah ganz danach aus –, mußte sie warmgehalten werden. Da sie nicht wußte, wie Jaelle ihre Decken verpackt hatte, holte Magda ihre eigenen hervor und hüllte Jaelle hinein. Sie schob einen flachen Stein ins Feuer. Sobald er heiß war, wollte sie ihn in irgend etwas einwickeln und ihn Jaelle an die Füße legen. Das Wasser kochte, und sie goß es über die Rinde. Dann ging sie hinaus und brachte die Tiere in den Stall zurück. Vorläufig würden sie nirgendwohin reiten. Der zweite Räuber war auch tot. Magda mußte ihn aus dem Weg zerren, bevor sie die Pferde und ihr Packtier wegführen konnte.
Als sie in die Hütte zurückkehrte, war Jaelle bei Bewußtsein. Sie flüsterte: »Ich dachte, du wärst gegangen.«
Wie ein fernes Echo hallte der Gedanke in Magdas Kopf wider: Sie hätte fliehen können. Nachdem sie für Jaelle ihr Bestes getan hatte, hätte sie sie ohne sonderliche Gewissensbisse zurücklassen können. Jetzt war es ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Ich habe geschworen, jede Amazone wie meine eigene Mutter, Schwester oder Tochter zu behandeln…
Magda suchte nach Worten. »Wir sind verbunden durch den Eid – Schwester.«
Jaelle streckte tastend die Hand aus. Magda tat das Herz weh bei der unsicheren Geste, denn sie dachte daran, wie rasch und geschickt diese Hände gewesen waren. »Ich habe dir gesagt«, flüsterte Jaelle, »Eidesmutter und Eidestochter tauschen Geschenke aus. Ein solches Geschenk habe ich nicht gewollt.«
Magda geriet in Verlegenheit. »Du solltest lieber nicht mehr sprechen. Ist dir kalt?« Sie holte noch eine Decke, legte Jaelle den heißen Stein an die Füße und richtete sie auf, damit sie ein bißchen von dem dampfenden Tee trinken konnte. Jaelle berührte ihren Ärmel. »Kümmere dich um deine eigene Wunde.«
Magda hatte sie vergessen. »Das ist nur ein Kratzer.«
»Trotzdem. Manche Räuber aus den Bergen… vergiften ihre Klingen«, brachte Jaelle mühsam heraus.

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