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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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lassen, hatte ganze Flächen freigeweht, so dass ich darunter, unbeeindruckt von Schnee und Eis, ein paar zarte grüne Spitzen sehen konnte, ganz wenige nur, die sich aus der brachliegenden Erde schoben. Meine Freude darüber hielt sich in Grenzen, denn die Panik und der Verlust trieben mich vorwärts.
    Vielleicht war es Tomke gewesen. Sie hatte sie schon einmal so neugierig gegrapscht. Oder Đomas!
    Ich rannte, was das Zeug hielt, denn ich konnte sehen, dass sich das Luftschiff an den Tauen auf etwas mehr als Mannshöhe erhoben hatte.
    „Halt!“, schrie ich, doch das Surren der Propeller, der immer noch starke Wind und die Rufe der Umstehenden übertönten mich, als ich oben anlangte. Erschöpft hechelnd stützte ich mich auf den Knien ab. „Ynge! Ynge!“
    Plötzlich war mir, als würde ich einen Schrei hören, einen grässlichen Schrei, so wie eine Wiederholung des letzten Lautes, den Æmelie im Leben von sich gegeben hatte, und ich war mir plötzlich sicher, dass sie dort oben war.
    „Leinen los!“
    „Nein!“, schrie ich verzweifelt, und erneut erntete ich das Lachen der Umstehenden. Der Verrückte, man konnte nie wissen, was er als nächstes tat.
    „Glück ab!“, rief der Redjeven nach oben und die Likedeeler winkten. Ohne darüber nachzudenken, stieß ich das Stück Metallverkleidung, das den Gleiter in der Sturmnacht beschwert hatte, zur Seite. Ich muss schneller gehandelt als gedacht haben, denn wenn ich einmal die Gelegenheit gehabt hätte, nachzudenken, hätte ich niemals getan, was ich getan habe.
    Ich habe mir nachher sagen lassen, dass die Klippen hinter dem Landeplatz sechzig Meter tief ins Meer hinein abfallen.
    Ich rannte mit dem Gewicht des Gleiters darauf zu, während das Luftschiff sich bereits von der Küste entfernte und rascher an Höhe gewann, als ich es gebrauchen konnte. Mit einem besinnungslosen Schrei tat ich einen Satz hinaus aufs Meer, und in diesem einen Augenblick, der ewig dauerte, sah ich die rote Steilküste unter mir, hörte das Kreischen der Seevögel, sah die Wellen gegen die Felsen schlagen und begann, darüber nachzudenken, dass ich mit einem nur leidlich reparierten Gleitflieger ins Leere gesprungen war.
    Ich schaffte es nicht, mich nach hinten zu werfen und meine Beine auf die Haltestangen zu befördern, also baumelte ich hilflos unter dem Trapez. Die Spitze neigte sich nur deshalb nicht unter meinem unausgeglichenen Gewicht nach unten, weil ein grausiger Nordwind mit aller Macht unter die Flügel fuhr und sie ein Stückweit hinaus- und hinaufkatapultierte.
    Ich schrie erneut. Ich würde mich auf diese Weise nicht halten können, und das Luftschiff konnte ich auf keinen Fall ansteuern. Hinter mir und auch an Bord des Schiffes war Geschrei ausgebrochen.
    „Ynge“, schoss es mir durch den Kopf und verlieh mir neue Kraft. Der Wind spielte mit mir – aber Herrgott, ich flog tatsächlich! Ein kurzes, glückliches, schreckliches Gefühl durchzuckte mich, dann verkeilte ich ein Bein an der Haltestange und wagte es, mit der Hand in das Gestänge des Flügels hineinzugreifen. Ich zog daran, der Flügel senkte sich nach unten, der andere nach oben und tatsächlich beschrieb ich so etwas wie eine Kurve – konnte in weit aufgerissene Augen und Münder blicken, als sich das Luftschiff wieder in mein Blickfeld schob.
    Ich lachte und schrie gleichzeitig vor Angst, und dann ergriff mich ein Wind und schleuderte mich auf das Luftschiff zu, und ich konnte weder lenken noch aufsteigen oder sinken, ich war dem Element ausgeliefert.
    Mein Schrei erstickte, als ich gegen die Gashülle klatschte. Sie sah weicher aus, als sie war – prallgefüllt fühlte sie sich an wie eine Ziegelmauer. Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte meine Schulter, einen grässlichen Moment lang verfing sich mein Bein in der Konstruktion des nun herabstürzenden Fluggeräts, bevor ich mich am Höhenruder festklammern konnte. Unter mir rauschten die Flügel, dem Wind vergeblich Paroli bietend, in die Tiefe. Ich schluckte. Meine Füße fanden Halt an einem Tau, das sich über die Luftschiffhülle zog, meine Arme hielten das Höhenruder umklammert, doch mittlerweile war ihre Kraft erschlafft. Die Tiefe zog an mir, und der schneidende Wind tat sein Übriges. Ich war wie ein Wahnsinniger von einer Klippe gesprungen, um eine Puppe zu retten.
    „Ich war ja etwas enttäuscht, dass du nicht Lebewohl gesagt hast“, erscholl eine Stimme so verblüffend nah, dass es nur Einbildung sein konnte. „Siehst du bitte einmal

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