Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
er Albert die Leiter hinunterstieß. Halb fallend, halb kletternd kam der dickliche Mann, mit dem ich viele Nächte lang in einer Kammer geschlafen hatte, herunter.
Er wurde gefesselt, in den Laderaum gebracht und dort an eine mir wohlbekannte Verstrebung gebunden. Tomke kam zu mir herüber und hielt mir Ynge entgegen.
„Vorsicht, ich habe mich da …“, begann ich, doch sie winkte Friedrick bereits, er solle es aufwischen. „Danke“, flüsterte ich, als ich die Puppe entgegennahm. Die blauen Porzellanaugen glänzten vor lauter Wiedersehensfreude, und Ynge schien sich wahrhaftig an mich zu klammern, als ich sie mit dem linken Arm, der mir immer noch am wenigsten wehtat, an meine Brust drückte.
„Was tust du nur? Lässt dich entführen! Hat er dir was getan?“
„Er hat … Dinge in den Riss in meinem Kopf gesteckt“, schluchzte Ynge. „Einen Draht und eine … eine Gabel!“
Empört sah ich Tomke an. „Was sagt sie?“
„Er hat in ihrem Kopf nach den Plänen gesucht! Zum Glück hat er sie nicht zerschlagen! Sie sind dort nicht drin, das habe ich doch schon gesagt!“
„Verzeih mir“, murmelte Tomke. „Ich habe damit angefangen.“
„Was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Eiken und wies hinüber in den Frachtraum.
„Ich denke, wir stellen ihm ein paar Fragen und brechen ihm den ein oder anderen Knochen“, knurrte Tomke und sah mich fragend an. „Willst du mitmachen?“
„Das … das ist barbarisch!“, entsetzte ich mich. „Du musst bedenken, dass er ja nicht wusste, dass er etwas anderes als eine Puppe stiehlt.“
„Er dachte, er würde die Pläne stehlen und sie dem Kanzler von Æsta bringen. Das finde ich verwerflich genug, um ein paar Knochenbrüche zu entschuldigen.“
„Habt ihr das auch mit den Æronauten des sächsischen Luftschiffes getan?“
„Aber ja“, grollte Eiken. „Zunächst hat uns der Mann der Gräfin, der an Bord war, alles Wissenswerte erzählt, und dann haben wir den anderen ein paar Knochen gebrochen.“
Ich seufzte auf. „Das war dein Mann, ja? Du warst mit ihm verheiratet?“, fragte ich die leere Luft flüsternd, als beide mir bereits den Rücken kehrten, um aus der Gashülle durch einen weiteren winddurchzogenen Schacht in die langgezogene Gondel des Lagerraums zu klettern. Ich setzte mich hin und sah Friedrick beim Putzen zu. Ingken war zu ihrer Koje verfrachtet worden, und Onnen, dessen Wurstfinger geschickter waren, als sie aussahen, nahm ihr die Kugel aus der Wunde. Ihre Schreie hallten ab und an durch das Schiff. Sie jammerte die unterirdischsten friesischen Flüche.
Brachen sie jetzt wirklich jemandem die Knochen? Mitleidlos und voller Hass gegenüber der schwimmenden Stadt? Ich raffte mich auf und stieg nun auch in den Lagerraum hinab. Wie bei meiner Hinfahrt war die Gondel gähnend leer. Tomke saß mit dem Rücken an einer metallverkleideten Wand, Eiken stand an den Träger gelehnt, an welchen auch Albert gefesselt war. Albert weinte leise, doch es war eher das Zeichen eines gebrochenen Herzens als eines gebrochenen Knochens.
„Was … was geht denn hier vor sich?“, fragte ich, und Tomke winkte ab. „Erzähl es ihm selbst“, forderte sie Albert auf.
„Du warst doch in Æsta“, begann Albert beinahe vorwurfsvoll. „Du weißt doch, wie sie da mit Leuten wie mir umspringen! Ich war Gewerkschaftler, und beinahe haben sie mich totgeschlagen. Da hat meine Frau mich auf ein Luftschiff geschmuggelt, und ich war erst in Lübeck und hab mich dann den Friesen angeschlossen.“
„Dann sollte man meinen, du wärst Æsta nichts mehr schuldig.“
„Meine Frau ist nicht mit. Sie war grade wieder schwanger, und unsere Jüngste war anderthalb. Wie sollte sie da mitkommen? Sie ist noch auf Æsta, und der Himmel weiß, was da aus ihr geworden ist! Acht Monate bin ich jetzt schon weg, und ich habe nichts, keine Nachricht, kein Geld, um sie zu mir zu holen!“
„Du bist nicht das einzige tragische Schicksal auf Æsta“, seufzte Tomke.
„Also hast du den Kanzler informiert, dass ich auf Helgoland bin?“
„Ja. Er hat Geld auf dich ausgesetzt. Als es zweimal schiefgegangen war, habe ich gehört, wie du mit Tomke darüber geredet hast, ob die Pläne in der Puppe drin sind. Da habe ich gedacht, bevor ich noch mehr Unheil anrichte, bringe ich ihm die Puppe und kriege vielleicht dafür schon Geld, um meine Familie von Æsta runterzuholen.“
„Bevor du noch mehr Unheil anrichtest.“ Das schien Eiken an etwas zu erinnern. Er hieb Albert mit voller
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