Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
einer Piratenhochburg fristen würde, in der jede zweite Nacht jemand über seinem Bier erschossen wurde?
Ich zieh mich selbst der Übertreibung . Dennoch – ich hatte meine Zeit in Hochgotland zurückgezogen in der Lagerhalle eines toten jüdischen Händlers verbracht. Die Welt war bereits unmittelbar vor der Schwelle voller tödlicher Gefahren.
Dann konnte es auch gleich zurück nach Æsta gehen. Um Æmelie zu holen.
Ja, ein Teil von mir hatte sicherlich gewünscht, all das hinter sich lassen zu können, aber es steckte noch eine Nadel in meinem Fleisch, und diese Nadel gehörte Professor Roþblatt.
Entschlossen sah ich Tomke an.
„Wir werden nach Æsta gehen. Wir werden es tun, wie ihr es ausgeheckt habt.“
„Das befürchte ich auch“, sagte sie tonlos und schenkte mir einen langen Blick aus grüngesprenkelten Augen. „Willst du das Geschenk?“
„Das Geschenk, das ich vermutlich nicht mag?“, erinnerte ich mich unbehaglich und lächelte dennoch. „Ich denke, ja.“
Wir brachten das Gemälde ins Haus des Juden, in die Dachkammer, in der wir viele Nächte verbracht hatten. Das Bild war wesentlich breiter als hoch und zeigte die roten Steilküsten mit den weißen Einschlüssen, die anbrandenden tiefgrauen Wellen und die mit der Gefahr spielenden Seevögel in ihrer ganzen Pracht – die Scheinwerfer der nahenden Luftschiffe enthüllten sich dem Auge erst beim genauen Hinsehen in den Wolken, und drohten mit geballter, schwarzer Faust. Ich nickte dem Bild noch einmal zu, bestätigte ihm seine Vollendung.
Als wir in die Richtung des Marktplatzes gingen – dem guten Geist Hochgotlands mützenlüpfend unsere Aufwartung machend – wurde ein an einer Sieche gestorbener Mann auf die Straße gebracht, wo man ihn auf einen Karren lud. Er war nicht der Erste. Seit die Hannoveraner Hochgotland gefunden hatten, gab es einen Todesfall nach dem anderen, und das bestätigte meinen inneren Drang, den Berggipfel endlich wieder zu verlassen. Unter den abgestürzten Æronauten musste es auch mindestens einen Tuberkulosekranken gegeben haben, der mit seinem letzten, giftigen Atemhauch die weiße Pest nach Æsta gebracht hatte. Zielsicher klopfte Tomke an Margarets Tür und warf dem Toten nicht einen einzigen Blick zu.
„Oh nein! Ich hoffe doch, du schenkst mir einen ihrer verrückten Aufziehautomaten.“
Tomke machte einen verneinenden Laut, als das Mädchen, das Margaret stets Tutti nannte und das hoffentlich auch noch einen ordentlichen Namen besaß, öffnete und dann quietschend in den dunklen Flur entkam.
„Kommt in die Stube!“, hörten wir Margarets Stimme wie immer aus dem einzigen erleuchteten Zimmer des Hauses. „Ich bin fertig.“
Mit einer aufkeimenden Nervosität trat ich in das mit Gerümpel völlig vollgestopfte Zimmer.
„Ich möchte, bevor du ...“, begann ich, doch Tomke beugte sich über eine Zeichnung, die Margaret hervorkramte und murmelte zustimmend. „Also, bevor hier irgendwas passiert, möchte ich sagen, dass ich nicht gedenke, mein Leben nur noch an gesetzlosen Orten zu führen und deshalb – hört ihr mir zu?“
„Du kriegst ein Hautbild.“
„Ich … ha! Das habe ich mir gedacht, dass du so etwas vorhast, und wie ich gerade schon sagte, ist eine Rückkehr in die Zivilisation fest eingeplant, und ich werde …“
„Es ist ein Geschenk!“
„… mich auf keinen Fall mit einem Hautbild … beschenken lassen!“, brachte ich meine Ausführungen zu Ende.
„Es ist dieses Hautbild. Du bist jetzt eine Legende, Naðan. Eine Legende der Æronautik.“
Ich wollte widersprechen, doch was sie hochhielt, war ein geradezu überwältigendes Detail aus einem Traum, und ich schnappte kurz nach Luft. „Woher … woher habt ihr das?“
„Ich wusste, dass es dir gefällt“, schnurrte Tomke, und auch Margaret blickte selbstzufrieden drein und faltete ihre Hände über ihrer rundlichen Mitte. „En Djik.“
Auf dem Papier war die Risszeichnung eines mechanischen Flügels – nein, genau jenes mechanischen Flügels, den Æmelie in meinem Traum getragen hatte, der aus ihrem Rücken herausgewachsen war, und den sie an mich übergeben hatte. Die Symbolträchtigkeit des Augenblicks nahm mir die Widerworte aus dem Mund.
„Wir stechen es dir auf den Rücken. Niemand wird es sehen, zumindest nicht in deiner Zivilisation.“ Tomke zwinkerte, doch dann wurde sie ernst. „Wir geben dir einen Flügel.“
„Mit einem kann man nicht fliegen“, flüsterte ich.
„Ich weiß. Den zweiten bekommst
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