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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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– Naðan!“ Er wandte sich mir mit heiserem Flüstern zu und packte mich an den Oberarmen. „Das erzählst du hoffentlich niemandem! Schon gar nicht heute Abend!“
    „Kein Sorge. Irgendwer hier hat Æmelie umbringen lassen, und ich werde sicherlich nicht so dumm sein, ihn auf mich aufmerksam zu machen“, wisperte ich zurück.
    „Die Herren?“
    „Domek von Pommern und Naðan, ein Künstler aus … aus der Eyfalia.“
    Der Stehkragen der Dienerin bebte, als sie unsere Namen wiederholte und uns mit einem Wink auf das Parkett der Reichen und Mächtigen Æstas hinauswies.
    Die Decke des Festsaals war mit opulenten Tüchern verhüllt, das Licht hatte einen wunderbaren Goldton, wie ihn sonst nur Kerzenflammen oder ein milder Feuerschein verstrahlen. Die Wände, sicherlich zwanzig Meter voneinander entfernt, waren mit edlen Holzpaneelen verschalt, in die erneut die schlichten Muster geschnitzt waren, die das ganze Haus prägten. Der Boden war von einem blau und weiß gebänderten altmodischen Mosaik bedeckt, ich konnte jedoch nicht erkennen, was es darstellen sollte, denn es waren bereits sicherlich dreißig oder vierzig Gäste anwesend. Sie hatten etwas Puppenhaftes, Unwirkliches an sich, wie es nur herausgeputzte reiche Menschen haben können. Jedes Elend der Welt schien an ihnen vorüberzugehen, es schien weder Krankheit zu geben, noch Alter – keine Trauer, keinen anderen Moment als das Fest, keine andere Kleidung als die unbefleckten, frisch geschneiderten Anzüge, die opulenten Kleider und Röcke. Die Kostüme einer anderen Welt.
    „Wunderbar, nicht?“, flüsterte ich Ynge zu. „Aber sei gewiss, auch sie frieren, wenn sie auf die Straße gehen, und leiden, wenn jemand stirbt, den sie lieben.“
    Domek warf mir einen warnenden Blick zu, während ich beinahe durch den Raum schwebte – sicherlich fünf Zentimeter über dem Boden, wie alle anderen hier auch.
    Auf einer kleinen Empore war ein riesiges Chronometer angebracht worden, dessen Minutenzeiger sich mit einem lauten metallischen Klicken voran bewegte. Das Ziffernblatt der Uhr war seltsam verschoben, so dass an oberster Stelle nicht die Zwölf den goldenen Kreis zierte, sondern eine Zehn, und darunter, für den Minutenzeiger geltend, die Siebenunddreißig.
    „Die Uhrzeit, zu der die junge Dame das Licht der Welt erblickte“, teilte Domek mir das Offensichtliche mit. Wir bekamen Champagner gereicht, und Domek ergatterte von einem umhergetragenen Tablett kleine Häppchen mit Krustentieren darauf.
    „Danke, ich warte auf Essen, von dem ich weiß, wie man es isst“, lehnte ich sein Angebot ab. Genüsslich zog er jedoch lediglich einen rötlichen Schwanz aus seinem Mund, nachdem er alles andere vertilgt hatte. Es sah einfach aus, aber da man sich bei solcherlei Getier nie wirklich sicher sein kann, dass es tatsächlich tot ist, verzichtete ich trotzdem.
    Noch einmal klackte die Uhr – der Zeiger sprang auf genau drei Stunden vor der Volljährigkeit der Fabrikantentochter, und da trat sie auch schon unter dem Zeiger des Chronometers hinweg auf die Empore.
    Tatsächlich war sie ein junger Apfel von Frau – rotwangig, süß, ein wenig rund. Sie strahlte in die Menge und winkte, sie lächelte, und sofort wurde ein Toast auf sie ausgesprochen.
    „Ach, ein niedliches Mädchen!“, rief eine ältere Dame neben mir aus. Noch war das niedliche Mädchen ja nicht volljährig, da konnte man so etwas ja noch sagen.
    „Hübsch! Eine erblühende Schönheit! Ein Hoch auf das Geburtstagskind!“
    Auch Domek sah den Apfel mit einem Lächeln an, doch irgendwie wurde mir leicht fad zumute, und ich kehrte aus der Schwebe auf den Boden des Ballsaals zurück. Diese Leute waren mehr Schein als Sein – auf dem Festland nichts, und hier alles, und sie ergingen sich in ihrem Quäntchen Existenz. Diese Menschen hatten meine Æmelie auf dem Gewissen!
    Es gab jedoch zwei Personen im Festsaal, die ebenfalls beiseite sahen und die anderen Gäste mit kalten Augen musterten – und unsere Blicke trafen sich wie gebündelte Lichtstrahlen. Zum Einen war es die Gräfin von Niederbroich, die sich einen nonchalanten Anschein gab, jedoch innerlich sicherlich von Zorn zerfressen war. Zum Anderen war es eine junge Dame mit dem Blick einer Katze, die vermutlich vor fünf Minuten noch hatte spielen wollen, doch nun ihren Jagdtrieb entdeckt hatte. Beide Wesen machten mir Angst, obgleich ich zugeben musste, dass mir die junge Dame, anders als der Apfel, auch noch über die Maßen schön

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