Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
erschien. Sie war hochaufgerichtet in ihren üppigen Kleidern, schlank, doch mit einem ausladenden Rock, der über den Boden schleifte, und mich befürchten ließ, dass sie in Wahrheit noch größer sein musste, dass sie unter dem Rock kauerte und jederzeit aufspringen und uns alle zertreten konnte. Es schauderte mich, als die Augen dieses Geschöpfs mich trafen, und ich zog an Domeks Ärmel.
„Die Dame dort. Wer ist das?“
„Was? Das weiß ich nicht. Ach, doch, sie ist so etwas wie ein Mündel der Gräfin Elsbeð. Eine junge Adlige vom Land.“
„Sie sieht nicht aus wie eine junge Adlige vom Land.“
„Ach, nein? Aschblondes Haar, dürr wie ein Huhn. Ich finde, sie sieht genau aus wie eine Adlige vom Lande. Und dieser Rock steht ihr nicht.“
Ich wagte noch einen Blick, und tatsächlich, Domeks Worte hatten das Wesen zusammenschrumpfen lassen. Ihr offenes Haar war stellenweise beinahe struppig, widerspenstig, von der Farbe einer streunenden Katze. Sie bewegte sich in ihren Kleidern, als fühle sie sich nicht wohl darin, als sei sie es gewohnt, im Sommer barfuß über die Felder zu laufen.
„Geh ruhig hinüber und sprich mit anderen Leuten. Zeig ihnen deine Bilder. Deswegen sind wir doch hier!“, forderte Domek mich auf, doch es fiel mir schwer, mich aus seinem Schatten zu lösen. Solange ich neben dem jüngsten Sohn des Herzogs von Pommern stand, war es einfach, ein Mann ohne Nachnamen zu sein. Ein Künstler. Ein Bohémien.
„Ich brauche keinen Nachnamen. Naðan, der Künstler“, dachte ich seufzend und drehte Ynge herum, damit auch sie ihren Blick schweifen lassen konnte.
Sofort wandte sich mir eine korpulente Dame zu, deren Dienerinnen schweißtreibende Arbeit verrichtet haben mussten, um sie in der Mitte zu einer entfernt sanduhrenähnlichen Figur zusammenzuschnüren. Die Dame schwitzte bereits und tupfte sich mit einem Taschentuch. Ich befürchtete, sie würde früher oder später explodieren und mit ihren Fleischmassen das Fest ruinieren. „Eine süße Puppe haben Sie da“, seufzte sie atemlos.
Ich seufzte ebenfalls. „Ja, sie ist entzückend. Ynge, die Puppe meiner Frau.“
„Aber sie ist ja kaputt!“, teilte mir die Dame hilfreich mit. „Da, am Kopf!“
„Nein, tatsächlich!“, entfuhr es mir, bevor ich mich zurückhalten konnte. „Wie ist das nur geschehen? Entschuldigen Sie mich, ich muss …“
Ich wandte mich ab und barg Ynge in der Sicherheit meiner Armbeuge. Als ich Ausschau nach der jungen Frau vom Land hielt, konnte ich sie nicht mehr entdecken, doch die Gräfin bedachte mich mit ihrem schneidenden Blick. Ich grüßte mit vorsichtigem Lächeln, und gerade, als ich den Mut aufbringen wollte, mich ihr zuzuwenden, hatte sie sich einem anderen Gesprächspartner gewidmet.
„Wie dumm! Sie könnte vielleicht helfen – ihr ist daran gelegen, anderen in dieser Stadt zu schaden. Diese anderen haben vielleicht uns geschadet, Ynge. Dann wäre sie der Feind meines Feindes.“
„Beeindruckend, Naðan. Doch leider weißt du noch nicht, wer dein Feind ist.“
„Das werde ich herausbekommen. Noch heute Abend!“, versprach ich der Puppe mit dem Riss im Kopf.
Es sollte tatsächlich mehrere geben, die um diesen Platz in meinem Herzen wetteiferten. Mein Misstrauen galt sofort dem Fabrikanten Ephraim Hoesch, dessen schmale Lippen man unter dem gigantischen schwarzen geölten gezwirbelten Schnauzbart kaum erkennen konnte. Ich stellte fest, dass die letzten Wochen mich nicht unberührt gelassen hatten und ich mich nicht von den Eindrücken im Arbeiterviertel befreien konnte. Dieser Mann war ein mit der Not anderer spekulierender seelenloser Geldscheffler, und wenn er auch noch mit dem Tod meiner Frau zu tun hatte, so schwor ich bei Gott, würde er grausam dafür bezahlen. Ich ertappte mich dabei, wie ich nicht darüber nachdachte, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Nein, ich dachte daran, ihn von der höchsten Spitze des Eisberges zu stürzen und zuzusehen, wie sein an der Flanke zerschlagender Körper Blut über Schnee und Eis ergoss.
Während eine Musikkapelle aufspielte und jeder mit der reizenden Apfelkonstanze eine Walzerrunde drehte, zog jedoch ein anderer Mann meine Aufmerksamkeit auf sich.
Er war hochgewachsen, hatte in etwa Domeks Alter von vielleicht dreißig Jahren und bewegte sich auf eine für sein Alter ungewöhnliche Weise, als habe er noch kürzlich einen schweren Unfall gehabt. Neugierig geworden schaltete ich mich in ein Gespräch ein, das er mit meinem Begleiter
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