Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
übergeben.
Ein Fabrikant namens Voith toastete dem Mädchen zu und hob sogleich auch das Glas im Namen des Kaisers, und verschiedenfach schienen fröhliche Mienen aus den Gesichtern zu fallen, und Gemurmel wurde laut. Die Gräfin und noch eine beträchtliche Menge anderer Gäste hoben ihre Gläser, doch viele Anwesende behielten sie unten und tranken auch nicht daraus. Konstanze war verunsichert, nahm den Toast dann jedoch mit einem Nippen am Champagner entgegen.
Gräfin von Niederbroich hatte das Tanzbein mit einem anderen jungen Mann geschwungen, und auch mit diesem viele Sätze gewechselt. Es schien mir, dass sie die Aufmerksamkeit jüngerer Männer genoss, zudem war sie ohne Gemahl erschienen und behauptete sich offenbar ledig in einer Welt der männlichen Grafen, Herzöge und Geldadligen.
Vielleicht hätte Æmelie sie gemocht. Trotz allem.
„Die Gesetze der Thermodynamik liefern zudem eine erstaunliche Einsicht ins Weltgefüge. Durchaus auch philosophischer Natur“, hörte ich eine neue Diskussion zwischen dem Professor und Domek von Pommern.
„Zum Beispiel?“, fragte mein Gefährte, der nun nicht mehr von der Seite des Professors wich, als fürchte er, dass ich ihn mit meinem Verdacht konfrontieren würde.
„Die einfachste Anwendung finden wir im zweiten Hauptsatz. Kein System strebt der Ordnung entgegen. Die Entropie wird sich stets bemühen, Dinge ins Chaos gleiten zu lassen. Nur Arbeit, Energie macht das System stabil, lässt es zur Ordnung streben.“
„Das ist wahr. Man sieht es daran, wie viel Arbeit mein Zimmermädchen damit hat, bei mir aufzuräumen“, lachte Domek.
„Man sieht es auch an Æsta. Das Chaos nimmt zu. Niemand steckt genug Arbeit hinein, um das System zu stabilisieren. Aber auch die gängigere Formulierung des zweiten Hauptsatzes bietet philosophische Ansätze.“
„Wärme geht nie vom kälteren ins wärmere Behältnis über“, sagte ich gedankenverloren.
„Richtig! Ein Künstler, aber gebildet“, lobte der Professor. „Nehmen wir einmal jenen Dämon aus, den Maxwell kürzlich gefunden zu haben glaubt, ist das völlig korrekt. Ein einfacher Mensch, in Einfachheit geboren, kann nicht zu wahrer Größe aufsteigen. Die Gesellschaft ist in diese Richtung nicht durchlässig und wird daher, wie alles zur Entropie strebt, niemals das werden, was an Potential in ihr steckt. Sie wird gewissermaßen stets abkühlen. Es gibt Möglichkeiten, Energie mit einem thermodynamischen Kreisprozess hineinzustecken, um dies zu verhindern, aber da muss sehr wohl abgewogen werden, ob es sich lohnt, diese Energie zu investieren. Es gibt kein Perpetuum Mobile, auch die Gesellschaft ist keins.“
Täuschte er sich nicht? War nicht Ynge eins?
Ich nickte und glaubte, seine Geisteshaltung in diesem Vergleich zwischen Physik und Soziologie bereits zu erkennen.
Nach dem Tanz mit der Gräfin schickte sich auch der junge Herr an, Konstanze ein Geschenk zu überreichen. Es war eine recht große Spieluhr mit einer rotgekleideten Balletttänzerin in einer Schatulle, gewissermaßen gegenläufig der Tatsache, dass der Apfel volljährig geworden war. Der junge Mann jedoch starrte das Geschenk an, als sie es auspackte, als habe er es nie zuvor gesehen, doch das Mädchen lächelte und knickste verzückt. Sie kurbelte an dem Gerät, welches ein scheußliches Quietschen von sich gab. Konstanze schrie auf, als der Kiste Rauch entstieg und sie offenkundig heiß wurde, und ließ sie fallen. Der Effekt schien jedoch bereits in Gang gesetzt, die Ballerina blähte sich zunächst auf und zerspritzte dann in einen glibberigen roten Faden. Schwarz sprengte es aus den Fugen der Schatulle auf die Gesellschaft, pumpte sich unerbittlich in alle Richtungen.
„Vati!“, kreischte das Mädchen, als ihr Kleid, ihr Haar, ihre ausgestreckten Hände beschmutzt wurden. Der engste Kreis, welcher sich neugierig um das Mädchen geschlossen hatte, wurde ebenfalls besudelt, wich zurück und machte nachdrängenden Neugierigen Platz. Gekreisch, Geschrei und Wehklagen wurden laut, sowie der resolute Ruf des Hoeschvaters nach den Gendarmen. Der blonde Leibwächter hatte sich bereits schützend vor das Mädchen gestellt. Konstanze schluchzte und trat die Flucht an, dabei rempelte sie gegen ihren Uhrwerkmann, doch dieser blieb dank seiner drei Beine erstaunlicherweise stehen.
„Das … das war ich nicht! Das ist nicht mein Geschenk!“, rief der junge Herr aus, mit dem die Gräfin getanzt hatte. Ich sah zu ihr hinüber, doch ihre
Weitere Kostenlose Bücher