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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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vermaledeite Frauenzimmer? Hätten wir jetzt Musketen!“ Ynge lachte in meiner rechten Hand, und es war die wahre Freude, Æmelies Stimme lachen zu hören.

Der höchste Turm Æstas

    Kohle
    O hne Geld, dafür mit mehreren Erkenntnissen langte ich wieder in meiner zugigen Dachkammer an.
    Ynge warnte mich zwar, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, doch ich konnte nicht umhin, aus den Ereignissen des Abends gewisse Überlegungen anzustellen: Steckte die Gräfin mit ihrem sogenannten Mündel und den Gewerkschaften unter einer Decke? Oder machte sie sich die tiefe Kluft zwischen selbigen und dem Æstaner Adel nur zunutze? Warum hatte Magda sich Tomke genannt? War das ein friesischer Name? Wohin war sie mit ihrem eigenartigen Ballonrock geflogen – und wie weit konnte der Wind sie getragen haben? War sie nicht vermutlich längst im eisigen Meer ertrunken? Der Alarm des Ætherlots war losgegangen und eine schrille Glocke hatte über der Stadt gehallt – jedoch konnte das davongeflogene Mädchen nicht der Grund dafür sein, denn es war einige Zeit seither vergangen. Vielleicht – hoffentlich – waren es ihre Retter gewesen, die sie aus dem Meer gepflückt hatten.
    Noch drängender jedoch waren die Gedanken an Professor Roþblatt. Sicherlich, ihn glaubte ich als den Teufel erkannt zu haben, der meine Æmelie auf dem Gewissen hatte. Aber war er der einzige? Wer von all den Hoeschs und Pappelheims, Niederbroichs und Voiths hatte seine Finger mit im Spiel gehabt? Hatte am Ende sogar Domek von Pommern in die Schöpfung künstlichen Lebens investiert und auf selbige spekuliert?
    Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen.
    „Es bringt nichts, zu Domek zu gehen. Er würde mich nur anlügen. Er hatte nie Schwierigkeiten damit, mich anzulügen.“ Verbittert dachte ich daran, wie er um Æmelies Gunst gebuhlt hatte, wie er sich immer wieder Gründe hatte einfallen lassen, sie zu sich nach Pommern einzuladen – ohne mich. Sie hatte stets abgelehnt, sie wusste, was sich für eine verheiratete Frau geziemte, und wir hatten uns nie voneinander getrennt. Außer, als ich ohne sie aus dem Fenster gesprungen war . Ich zerwühlte meine Haare.
    „Ich muss dorthin, Ynge.“ Die Puppe starrte mich an, regte sich nicht und sprach nicht. Doch ihren Blick konnte ich als Zustimmung deuten. Ich griff nach ihr, zog sie aus, glättete ihr Kleidchen, kämmte ihre Haare, wusch ihre porzellanenen Gliedmaßen und zog sie wieder an. Dann legte ich mich ins Bett, noch in Hemd und Hose, und hielt die Puppe in meiner Armbeuge.
    „Ich wünschte, du wärst nicht gestorben, Æmelie“, sagte ich in die sinnlose Dunkelheit der Nacht hinein.
    In meinem Traum stürzte Tomke ab, in ein Meer, in welchem bereits andere Menschen erfroren und ertrunken waren. Ich sah hinab, sah in all diese Gesichter – und mir wurde bewusst, dass ich flog. Zumindest für den Moment noch.

    „Ich möchte einen Termin mit Professor Roþblatt ausmachen“, teilte ich dem Wachmann vor dem Backsteinturm, der Æsta überragte, mit. Er nickte knapp, betätigte einen Schalter und unterbrach damit das laute Knistern und Rauschen der beiden schlanken, von flachen Metallscheiben gekrönten Apparaturen, die die große Metalltür flankierten.
    „Was ist das?“, fragte ich, als ich mit mulmigem Gefühl hindurchtrat.
    „Teslaspulen. Sicherheitsmaßnahme.“
    „Wegen des Ætherlots?“
    „Auch.“ Der Sicherheitsmann gestattete sich ein schmales Lächeln.
    Ich trat durch einen dunklen Vorraum in eine karge Eingangshalle. Ein Fräulein saß hinter einer wuchtigen Schreibmaschine und grüßte mich, als ich eintrat.
    „Der Herr mit der Puppe“, sagte sie. „Der Herr Professor hat schon erwähnt, dass Sie kommen würden.“
    Lautstark tippte sie etwas auf ihrer Maschine. „Setzen Sie sich doch noch einen Moment.“
    „Muss ich keinen Termin vereinbaren?“
    „Wie gesagt, der Professor rechnet mit Ihrem Kommen und nimmt sich sicherlich gerne Zeit für Sie.“
    Ich nahm auf einer hölzernen Bank Platz. Eine zerblätterte, zwei Monate alte Zeitung lag auf einem Tischchen und ich überflog die Todesanzeigen, fragte mich, welches Gedicht ich gewählt hätte, um Æmelies Scheiden in angemessene Worte zu fassen. Vermutlich hätte ich ein Bild gemalt.
    Ich hatte versucht, ein Bild zu malen.
    Ihre Augen waren das Letzte, woran ich mich versucht hatte. Sie blickten unter dem Rand des Zylinders hervor und sahen ihr ähnlich genug, doch ein wenig spielten auch Ynges Puppenaugen hinein, die in

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