Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
haben Sie denn?“, fragte die Frau mit echter Besorgnis in der Stimme. Sie berührte Ynges Haare mit einem Finger und strich über den Riss an ihrem Kopf. Der Schmerz durchzuckte mich bis tief in mein ohnehin seit Wochen wundes, rohes Herz. Ich schluckte und rang um meine Fassung.
„Dieser Mann …“, keuchte ich. „Er ist der Leibhaftige.“
„Das glaube ich Ihnen gerne“, erwiderte sie trocken.
„Glauben Sie, dass jemand ein böser Mensch sein kann?“, flüsterte ich.
„Sehen Sie sich um! Hier sind viele aus verschiedenen Gründen bis ins Mark verdorben. Habgierig, geizig, neidisch. Kreisen umeinander und belauern sich. Aber der Professor – er hat nicht solche Laster. Ihm ist in China einfach nur der Mensch abhanden gekommen. Oder er war vorher schon so.“ Sie schüttelte sich kurz, lächelte dann und sagte schlicht: „Er hat meinen chronischen Husten behandelt. Seine Medizin war sehr wirksam, aber ich werde seinen Blick nie vergessen, als würde er durch mich durch sehen und nur Knochen erblicken.“
Sie entfernte sich einige Schritte und brachte mir ein Glas Champagner. „Trinken Sie das. Etwas Stärkeres wird leider zur Zeit noch nicht ausgeschenkt. Französisches Gesöff.“
Ich stürzte den Champagner herunter. Ynge blickte mich mit ihren harten, langbewimperten Augen an und sprach mit Æmelies Stimme: „Du musst jetzt stark sein, Naðan. Vielleicht hast du deinen Feind gefunden. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, das herauszufinden.“
Ich gewann das Ringen um meine Fassung und straffte mich.
„Entschuldigen Sie mich?“
„Natürlich. Ich sehe, Sie haben noch etwas vor. So wie ich.“
Sie lächelte auf eine hochmütige Art und Weise, die ihrer Nase etwas so vortrefflich Elegantes verlieh, dass sie einer Königin Konkurrenz gemacht hätte. Auch Gräfin von Niederbroich hatte einen solchen Blick, sogar eine ähnliche Nase, und ich fragte mich sofort, ob die beiden verwandt waren. Ich packte Ynge fester, drückte sie gegen meine Rippen und begab mich hinüber zu Professor Roþblatt, der mit einer gebeugten Senilität, von der ich am Kai gesehen hatte, dass sie vorgetäuscht war, zu einigen Gästen hinübergegangen war und mit diesen ein Gespräch begonnen hatte. Ich stellte mich in die Nähe und lauschte. Während einiger unerträglicher Minuten wurden Belanglosigkeiten ausgetauscht.
„… bis vorhin gearbeitet.“
„Hatten sie viele neue Patienten, Professor?“
„Nein, aber die Forschung ist manchmal sogar ungeduldiger als die Kranken und die Verwundeten.“
„Der Herr mit der Puppe“, sagte eine Stimme, gerade, als es anfing, spannend zu werden. „Der junge Herr von Pommern sagte mir, Sie wünschen, mit mir zu tanzen.“
Gräfin Elsbeð hatte sich aus dem Begrüßungsgespräch mit dem Professor zurückgezogen und stand nun vor mir. Perplex starrte ich in ihre eisgrauen Augen, die exakt die Farbe ihres seidenen Kleides hatten.
„Gerade … ich …“
„Tanz mit ihr!“, forderte Ynge, und ich gehorchte. Konstanzes Tänzer musste mittlerweile neu aufgezogen werden, und eine Schar von Damen erwartete schon den dreibeinigen Walzerkönig. Er funktionierte nur, wenn der Walzer exakt in der Geschwindigkeit erklang, die er auch tanzte.
Ich schaffte es, meinen Arm um die Gräfin zu legen und dennoch die Puppe festzuhalten. „Legen Sie doch einmal die Puppe ab.“
„Das kann ich nicht. Sie ist mein Abgrund.“
„Vielleicht hätte ich Sie doch besser mit dem Professor reden lassen sollen“, spottete sie. Sie legte ihre andere Hand in meine, wir blickten starr aneinander vorbei, wie es beim Walzer üblich ist und begannen dann diesen Tanz, den ich gefühlte Jahrzehnte hatte üben müssen.
Eins zwei drei, eins zwei drei. Eins zwei drei, eins zwei drei.
„Sie sind ein guter Tänzer, Herr ohne Nachnamen.“
„Ich kann dieses Kompliment nur erwidern: Sie sind eine perfekte Tänzerin.“ Auch dies entsprach der Wahrheit, obgleich sie steif und knochig war, hatte sie die entsprechende noble Anmut, die eine Frau haben muss, um Walzer zu tanzen. Neben uns begann der Automat seinen Reigen.
„Geschmackloses Geschenk“, flüsterte die Gräfin, und in ihren Augen las ich den Hass auf Hoesch und den Stadtkanzler Pappelheim.
„Sind solche Puppen eine Spezialität von Æsta?“
„Wie kommen Sie darauf? Wer würde solche Puppen haben wollen? Gas und Petroleum, Erze, Kohle und allerlei daraus gewonnener Schnickschnack, das sind die Spezialitäten Æstas.“
„Ich glaube, es
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