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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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lange, bis ich vernahm, worauf Ynge gewartet hatte – Stimmen erschollen im Aufzugsschacht. Die Kabinen bewegten sich bereits schneller, das Getriebe ratterte und protestierte klappernd. Ich besah mir die Steuerung und kam zu dem Schluss, dass ich nichts weiter tun musste, als ein Rohr, das ohnehin nicht dicht abschloss, in seiner Verankerung in die andere Richtung zu biegen. Es war sicherlich ziemlich heiß – ich schützte meine Hände mit den Ärmeln meines Mantels und einem dicken Lappen, der in Griffweite lag, und als meine Verfolger aus dem Keller hinaufgefahren kamen, als Ynge ein rachsüchtiges „Jetzt!“ schrie, da lenkte ich das Rohr um in die Richtung des Durchlasses. Heißer Dampf zischte heraus, Schreie ertönten im Aufzug – hastig ließ ich los, als der dicke Wollstoff meines Mantels gerade heiß genug wurde, um mir Schmerzenstränen in die Augen zu treiben. Ich warf mich rückwärts aus dem Raum, der Dampf füllte in Schwaden Aufzugsschacht und Maschinenraum aus. Die Dampfmaschine verlor rasch an Schwung.
    Auf dem Flur erwartete mich eine gertenschlanke Frau mit einem weiß gestärkten Häubchen und einem strengen schwarzen Kleid. Sie hatte die Lippen gespitzt und schien nachzudenken, wie sie sich nun zu verhalten hatte. Ich entgegnete ihrem Blick möglichst angsteinflößend.
    „Gehen Sie mir aus dem Weg!“, knurrte ich.
    „Denken Sie nicht, Sie seien der Erste, der versucht zu entkommen. Sie können sich gerne umsehen – hier unten landen die ganz schweren Fälle“, erwiderte sie leise und ernsthaft.
    Ihre Augen hatten etwas viel zu Gleichgültiges, dafür, dass gerade ein wildgewordener Mann vor ihr stand und sie mit seiner bloßen Anwesenheit bedrohte.
    „Hier gibt es doch sicherlich eine Treppe.“ Es musste eine geben. Sie betrieben doch sicher nicht Tag und Nacht einen Aufzug.
    „Seien Sie nicht lächerlich! Sie werden jetzt hübsch folgsam sein, mein Herr.“ Sie war jung, vielleicht Anfang Zwanzig, doch aus ihren Augen sprach etwas Älteres.
    „Ach ja?“ Ich sprang vor und wollte sie packen – eine Geisel war besser als gar nichts, doch sie wich mir elegant aus und knallte mir eine harte Faust gegen mein Ohr.
    „Da haben Sie es. Und nochmal!“ Diesmal jedoch duckte ich mich unter dem Schlag hinweg, packte ihr Handgelenk und warf sie gegen die Wand. Mein Ohr war ein einziger Schmerz, und es gab ein solch beträchtliches Fiepen von sich, dass es zumindest für mich eine Zeitlang die Alarmglocke übertönte.
    Ich entwischte der Schwester in einen offenstehenden Raum. Hier war es bitterkalt, und ich bemerkte erst, als ich das düstere Zimmer betreten hatte, dass hier sicherlich zwei Dutzend Menschen saßen – Frauen, korrigierte ich mich, die sich kaum regten, als ich hineinstolperte. Eine einzige Gasfunzel erleuchtete ihre mageren, schmutzigen, teils von Schlägen und Geschwüren entstellten Gesichter. Sie sahen mich teilnahmslos an, saßen auf einer kargen hölzernen Bank an den Wänden entlang beinahe einmal um mich herum.
    Keine weitere Tür, kein Weg führte mich wieder hinaus. Die Schwester stieß im Flur einen Alarmruf aus, dann kam sie hinter mir her.
    „So. Eine Treppe ist hier jedenfalls nicht, junger Herr.“
    „Sei grausam zu ihr. Sie hat es verdient“, lechzte Ynge in meiner Tasche. Ja, aus den Augen der Schwester sprach eine Qualifikation, die sie hierher, zu den ganz schweren Fällen versetzt hatte. Es war blanker Sadismus. Sie hatte einen kleinen Prügel vom Gürtel gezogen, und kam auf mich zu. Die meisten Frauen stierten mich verstandslos an, ein paar jedoch schienen die Veränderung noch wahrnehmen zu können und atmeten schneller, schrumpften auf ihren Plätzen zusammen oder spannten sich, als wollten sie fliehen.
    Es ging alles ganz schnell. Eine weitere Schwester rannte in den Raum hinein, rempelte ihre Kollegin in den Rücken, ich nutzte die Gelegenheit, trat seitlich heran und entwand ihr mit einem gleichzeitigen Schlag gegen ihre Nase den Prügel.
    „Und direkt nochmal!“, höhnte Ynge. Der Überlebensinstinkt überwand all meine Hemmungen, eine Frau zu schlagen – wozu ich mich als Edelmann mit Benehmen bisher natürlich noch nie herabgelassen hatte, und so schlug ich ihr mit dem Prügel auf den Hinterkopf. Ihre Kollegin schrie spitz auf, ich versetzte ihr einen Stoß, dass sie auf den Schoß einer steif dasitzenden Nervenkranken fiel, machte einen Satz in den Korridor und zog die Tür zu. Ynge keuchte den Kranken zu: „Wehrt euch!“ – oder

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