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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Botschaft überbrachte. Wusste, dass meine Mutter sich ein Tüchlein an die Lippen pressen und sich auf einen der wuchtigen, mit grünen Polstern bezogenen Eichenstühle in der Diele fallen lassen würde. Mein Vater würde eine Antwort donnern und die Tür zuschlagen, und dann würden sie nie wieder ein Wort darüber verlieren.
    Zum Glück war ich nicht ihr einziges Kind. Ich hatte noch einen älteren Bruder, welcher freundlicherweise stets die Erwartungen meiner Eltern erfüllt hatte, so dass ich mich nicht allzu schuldig fühlen musste, wenn ich mich in ihren Augen stets für das Falsche entschied. Würden sie mir zutrauen, ein Mörder zu sein?
    „Du bist ein Mörder“, sagte Ynge traurig. Ich schüttelte den Kopf. „Das waren Männer, die mich töten wollten. Es war eine alttestamentarische Art und Weise, dies zu beantworten, ja. Aber durchaus nicht unüblich.“
    Wenn nicht einmal mehr Ynge verstand, was ich tat und warum, was sollten dann erst meine Eltern denken?
    „Sie hat keine Seele“,hatte die Alte gebrabbelt, wenn ich sie recht verstanden hatte.
    Aber was weiß sie schon über Ynge! Natürlich hat sie eine Seele. Æmelies Seele. Oder meine eigene, die verrückt geworden ist. Oder was weiß ich.
    Ich hatte kein Papier mehr, dennoch war ich entschlossen, allen Menschen aus dem Weg zu gehen – glaubte ich doch, die Gerüchte, die umhergingen wie Spukgespinste, in ihren Augen lesen zu können.
    Abends fing Ðomas mich ab, obgleich ich auch ihn hatte meiden wollen, und machte sein Versprechen wahr.
    „Die Kabbalah, mein Freund! Wir gehen in den Ziegenstall.“
    „Ich will nicht.“
    „Ich bin nicht so eine alte Hexe. Hab ja gesehen, dass du da ein bisschen …“ Er schwieg unbehaglich und balancierte einen Tonbecher zwischen zwei Fingern.
    „Ich bin wohl doch verrückt“, sagte ich herausfordernd und schob das Kinn vor.
    „Vermutlich. Aber auch das kriege ich mit der Kabbalah heraus!“ Er grinste, die tätowierten Dreiecke verzogen sich zu einer Fratze. „Komm schon! Ich bin auch neugierig auf die Puppe!“
    Ynge schwieg. Sie sah aus, als wolle sie etwas sagen und hielte sich selbst zurück.
    „Sag doch was, Ynge!“, murmelte ich. „Ich will ja auch wissen, ob Æmelies Seele in dir wohnt. Vielleicht sagst du mir einfach, was du bist.“
    Ein Windstoß fegte durchs Dorf, und ich hätte schwören können, dass Ynge sagte: „Ich weiß es selbst nicht recht.“
    „In Ordnung“, nickte ich. „Wir sehen sie uns an.“

    Ðomas hatte ein Tuch ausgebreitet, auf dem jüdische Buchstaben ein Muster aus Kreisen und Verbindungslinien zierten.
    „Das ist der Lebensbaum. Wir rücken darauf ein Glas. Also, diesen Becher.“ Er legte das Tuch auf den freigefegten Boden. Zwei Ziegen blickten interessiert zu uns herüber.
    „Wir rücken ein Glas – und das ist Kabbalah?“
    Ich konnte schwören, dass Ðomas ein wenig rot wurde, doch er überspielte es gut. „Na – was man darauf rückt, ist doch egal. Wir rücken, und die Kabbalah antwortet uns.“
    Er setzte sich im Schneidersitz neben das Tuch und den Becher, der zur Hälfte mit Wasser gefüllt war.
    „Setz dich auch.“ Ich gehorchte, Ynge legte ich vor mich hin, zog ihr das Kleidchen sorgsam über die Knie.
    „Schließe deine Augen.“ Er benetzte seine Finger mit Wasser, besprenkelte mich, Ynge und sich selbst damit. „Oh, Ketherchockmahbinah! Chesedgeburah! Augen zu, Naðan!“
    „Ich bin mir nicht sicher …“
    „Unsinn! Leg deinen Finger an den Becherrand! Und dann denk an gar nichts mehr!“
    Ynge. Ynge. Æmelie. Ynge. Es war mir nicht möglich, an nichts zu denken. Mörder von Æstas End. Hurenmörder. Kranker Mensch. Irrer! Spricht mit seiner Puppe!
    „Naðan“, flüsterte Ynge durch Ðomas ’ vielleicht hebräisches Gemurmel. „Du bist zur Hälfte verrückt. Und ich bin zur Hälfte wahr.“
    „Und das kannst du mir nicht ohne diesen jüdischen Schnickschnack sagen?“
    „Du darfst nicht am Glas rücken“, unterbrach der Likedeeler mich ungeduldig.
    „Ach, hör auf, Ðomas, ich rücke nicht. Du solltest doch wohl selbst mehr daran glauben als ich!“
    Ynge kicherte. Erlaubte sie sich hier einen Spaß mit uns? Verbissen presste ich die Lider zusammen, wartete darauf, dass irgendein Spuk einsetzen würde. Eine Ziege meckerte jämmerlich.
    Æmelie, bist du noch bei mir?
    Konnte Ðomas durch die Kabbalah mit dem Jenseits sprechen? Oder machten wir hier einfach gerade zwei große Narren aus uns? Die Ziege meckerte

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