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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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als habe sie mich soeben gefragt, ob ich ihr Bett teilen wolle. Auch Ynge schien es so interpretiert zu haben, denn sie sagte: „Na, hervorragend. Sie hat getrunken und verführt dich, du wirst töricht sein und nicht auf mich hören, und morgen kommt ihr Mann und tötet dich.“
    „Unsinn!“, schalt ich sie, und Tomke lächelte, weil sie zu wissen schien, dass ich erneut mit meiner Puppe sprach.
    Sehr zum Unmut meiner Gefährten ging Tomke nicht mit mir hinaus. Sie setzte sich lediglich auf einen Stuhl, nahe des Feuers. „So?“
    Ich rückte einen Hocker heran, so dass sich das Feuer zu ihrer Linken befand und ich akzeptables Licht hatte. „Ich habe nur noch ein Blatt“, sagte ich.
    „Lässt du mich sehen, was du auf den anderen Blättern gezeichnet hast? Einen Maxwell’schen Dämon?“ Sie lachte.
    „Wie scharfsinnig sie ist“, schmollte Ynge.
    „Ach, Ynge, sei doch nicht so! Sieh, ich habe dich gemalt!“
    Das hatte ich, mehrmals hatte ich ihr Porzellangesicht eingefangen, und im Feuerschein erschien es mir selbst auf den Zeichnungen so, als könne sie sprechen.
    „Diese Puppe ist wahrlich seltsam“, sagte Tomke, während sie die Briefbögen betrachtete. „Ja – wenn ich sie mir hier ansehe … dann scheint es wirklich die Puppe zu sein, die seltsam ist. Nicht du.“
    Hinter mir polterte etwas, und Tomke zog die Brauen gefährlich zusammen. Ich wandte mich um – Eiken hatte eine junge Frau auf seinen Tisch gezerrt, dabei Tonkrüge und Schüsseln beiseite gefegt, und küsste sie innig. Sie wirkte zunächst schicksalsergeben, fasste dann jedoch sein Gesicht und erwiderte den Kuss.
    „Warum bist du mit diesem Mann verheiratet?“
    „Witteke hat unsere Ehe heute gelöst. Er will sich an mir rächen“, zuckte Tomke mit den Achseln.
    Ich richtete mich auf dem Hocker kerzengrade auf. „Warum willst du mich dann dazu anstiften, dich keinen Meter entfernt von ihm zu zeichnen? Wo du doch weißt, dass er deswegen so außer sich war?“
    „Ich?“, lächelte sie. „Ich will immer nur tun, was ich will.“
    Meine ersten Striche wurden zornig. Ich wusste nicht genau, warum, doch ihr Gebaren, ihre gescheiterte Ehe, ihr Sturkopf machten mich wütend. Dennoch musste ich feststellen, dass es zu ihr passte – dass die harten dunklen Striche ihr vom Wind zerwühltes Haar gut einfingen. Ihre Augen blitzten, und ich fing es ein. Ihr Mund war widerspenstig, doch ich wusste ihn zu zeichnen. Ihr Leinenhemd, dessen Ärmel sie am Feuer hochgekrempelt hatte, der Schmuck der silbernen Armreifen – die Hand, in der sie den langen Kletsie hielt, den Sprungspeer, den die Friesen sowohl als Waffe als auch als athletisches Fortbewegungsmittel nutzten. Der Faltenrock und die in der Hose darunter übereinandergeschlagenen Beine mit den abenteuerlich abgewetzten Stiefeln. Die Zeit verging, ohne dass ich ihrer achtete, und aus der rohen Form, aus der ich Tomke hatte erschaffen wollen, war nun ein lebendiges Abbild geworden. Wie jene Skizze, die ich von Æmelie geschaffen hatte, und die sich nur so zäh und widerwillig in ein Gemälde hatte verwandeln lassen wollen.
    Tomke streckte gähnend die Arme aus und angelte nach einem Krug Bier, doch ich schalt sie, stillzusitzen. Der Schattenwurf ihres Faltenrocks benötigte gerade absolute Reglosigkeit. Sie lächelte herausfordernd und wippte mit dem Fuß. Seufzend sah ich sie an, mir nun jedoch auch bewusst werdend, dass sich eine Traube aus neugierigen Kindern und Erwachsenen hinter mich geschart hatte. Sofort begann mein Herz schneller zu schlagen.
    „Entschuldigung“, sagte ich mit belegter Stimme. „Wenn sie zusehen, kann ich nicht arbeiten.“
    Tomke lachte und übersetzte. „Sie sehen schon eine ganze Weile zu.“
    „Das mag sein. Dann können sie es ja wieder tun, wenn ich sie wieder vergessen habe.“
    „Es ist schon eigenartig, dass so viele um uns herum sind, und doch bin nur ich da“, bemerkte Tomke mit einer stichelnden Selbstzufriedenheit. Ich warf ihr einen tadelnden Blick zu. „Du könntest ebenso gut dieses Felspferdchen sein, das ich noch zeichnen möchte. Ich bin in meine Arbeit vertieft, nicht in dich.“
    „Ja. Sag ihr das ruhig mal“, pflichtete Ynge mir bei.
    „Ich mag es trotzdem“, sagte Tomke leise.
    Irgendwann leerte sich der Festsaal, die Friesen torkelten durch den Schnee nach Hause oder schliefen auf den Bänken ein. Auch die Likedeeler anderer Nationalität trollten sich, vermutlich in der Hoffnung, dass Witteke ihnen in der Nacht erscheinen

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