Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
Vom Netzwerk:
und man sagt, sie ist die eigentliche Hexe. Die Alte ist dem Tod näher als dem Leben.“
    Witteke, die Haare, die nicht ausrasiert waren, zu zahlreichen, mit blauem Kalk eingeriebenen Zöpfen geflochten, lächelte in die Runde und begann zu sprechen. Stets fiel dabei der Name Birke , und sie fing es geschickt an, sich noch in den Schatten der greisen Priesterin zu stellen. Diese nickte und lächelte, nickte und lächelte – und schließlich, als die Sonne so hoch stand, dass sie höher an diesem Tag nicht mehr klettern würde, begann das Fest.
    Wie bei den Friesen üblich, bestand es aus reichlich Essen und Trinken und einer wilden, ausgelassenen Zeremonie zum Sonnenuntergang, einer heidnischen Messe an einer von den Friesen verehrten Quelle, von der ich mich, trotz meiner Neugier, ob meines Seelenheils lieber fernhielt. Mit Ðomas trank ich noch ein wenig weiter, irgendwann schien er Mut gefasst zu haben und sagte zu mir: „Hab gehört, du hast mit Albert über diese Puppe geredet. Der Jude, bei dem ich gearbeitet habe, er war Kabbalist. Wenn da was ist mit dieser Puppe, und du nicht einfach verrückt bist, aber ernsthaft, du wirkst zwar nicht ganz richtig, aber auch nicht völlig verwirrt. Also, wenn was ist mit der Puppe, dann kann ich vielleicht danach sehen.“
    „Wie stellst du dir das vor?“
    „Die Kabbalah! Damit kann man in die Welt der Geister blicken. Man hört die Stimmen der Toten!“
    „Mit der … Kabbalah?“ Ich hatte eine krude und sehr vorurteilsbehaftete Idee der jüdischen Mysterien im Kopf und fragte mich, wie sehr Ðomas wohl Einblick darin gewährt worden war.
    „Morgen!“, sagte er und prostete mir zu. „Morgen gucken wir in diese Puppe.“
    Ynge quiekte entsetzt. „Nicht in die Puppe“, stellte ich richtig. „Du fasst sie nicht an. Niemand – fasst – diese – Puppe an. Aber du darfst gerne Kabbalah an ihr ausprobieren.“
    Dann sangen wir uns Lieder vor, die wir in unseren Jugendjahren gelernt hatten, Lieder von scharfem Gesöff und weißen Brüsten. Bald hatten wir eine christliche Bagage aus Likede elern um uns gesammelt, die froh waren, mit ungehörigem Liedgut und Geschichten dem heidnischen Brimborium den Rücken zu kehren.
    „… Witteke soll wohl jemanden suchen, der ihr ein Kind macht!“, flüsterte einer von ihnen betrunken in die Runde. „Ja, ja, der Mikæl hat es erzählt, sie ist nachts in seiner Kammer erschienen wie ein Geist, hat sich ohne ein Wort auf ihn gesetzt und ihm dabei nicht nur seinen Samen, sondern auch all seine Lebenskraft ausgesaugt. Kurze Zeit später ist er ums Leben gekommen, bei Bremen.“
    Alle hielten die Luft an, alle blickten über die Schulter.
    „Kann das wahr sein?“, fragte der schmale, junge, rothaarige Friedrick, halb Furcht, halb Hoffnung in der Stimme.
    „Keine Sorge, mit dir versucht sie’s schon nicht. Steht deiner überhaupt schon?“, grölte der dicke Albert, der eben noch versucht hatte, am Hals der Magd des Redjevens zu nuckeln.
    „Besser als deiner, wette ich. Im Alter soll’s ja schlechter werden“, gab Friedrick schlagfertig zurück und blickte zufrieden in die Runde. Da strömten die Friesen zurück in die Halle, blaugefroren waren ihre Lippen, doch fiebrig glänzten die Augen.
    „Meint ihr, sie haben nackt im Schnee getanzt?“, flüsterte Ðomas und erntete bedauerndes Seufzen darüber, dass wir nur getrunken und geschwatzt hatten. Birke wurde in zahlreiche wollene Decken und Felle gehüllt und nah ans Feuer gesetzt, wo sie sofort einschlief. Witteke jedoch ging federnden Schrittes im großen Saal herum, sprach und lachte und trank.
    Die Sprache derer, die ich mir unfreiwillig zu Gefährten gemacht hatte, wurde wieder derber, und deutlich sprach daraus, wie sehr man sich trotz des drohenden Todes wünschte, dass Witteke in der Nacht auftauchte und sich ein Kind machen ließ. Sie war groß und schlank, entledigte sich in der Halle bald ihres Umhangs und unter ihrem langen roten Rock zeichneten sich die vermutlich festesten und hübschesten Pobacken des ganzen Dorfes ab. Als das Gespräch sich nur noch darum drehte, trat Tomke an unseren desolaten Haufen heran. Sie erntete Geflüster und gieriges Seufzen, denn obwohl man sich nicht sicher sein konnte, ob ihre Pobacken mit Wittekes mithalten konnten, war sie doch eine schöne, junge und begehrenswerte Frau.
    Verheiratete Frau.
    „Wirst du mich nun endlich zeichnen?“, fragte sie mich, und ich erntete Knuffe und Püffe und Ausrufe wie „Der Glückspilz!“,

Weitere Kostenlose Bücher