Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
dem gekenterten Boot festgehalten hatte. Ich erinnerte mich daran, dass Tomke um Hilfe geschrien hatte. Ich erinnerte mich daran, dass die Kälte uns nurmehr Minuten gegeben hatte, um uns von unserem Leben zu verabschieden, die Wellen hatten uns über scharfkantige Steine geschoben, die Dunkelheit hatte uns verschlungen.
Aber offensichtlich nicht besonders gründlich. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mich zu dem Entschluss durchringen konnte, wider Erwarten noch zu den Lebenden zu gehören. Ein alter Mann hieß mich mit zahnlosem Grinsen willkommen und flößte mir Suppe ein, bis ich kräftig genug war, die Nahrungsaufnahme selbst in die Hand zu nehmen.
Ich war in der Halle des Redjevens – es war zugig, denn das Feuer hatte das Dach beschädigt, und damit war die Halle noch gut weggekommen, wie ich feststellen sollte.
Während ich schwankend, mit Knochen, die sich wie zerschlagen anfühlten, meine Notdurft verrichtet hatte, hatte sich Tomke an meine Bettstatt geschleppt. Sie saß da in sich zusammengesunken, in eine wollene Decke gehüllt.
„Sehe ich so schlecht aus wie du?“, spöttelte sie, als ich näher trat.
„Nein. Schlechter.“ Ich setzte mich neben sie. Zögerlich legte sich ihre Hand auf meinen Unterarm.
„Wer hat uns gerettet?“
„Wir sind an einen schmalen Streifen Land gespült worden. Unterhalb der Klippen.“
„Du hast mich vermutlich dorthin geschleppt“, ahnte ich zerknirscht.
„Vermutlich. Mein schönes Boot.“
„Ich sagte doch, dass es Wahnsinn ist, segeln zu gehen. Ekkenekkepen hatte es auf uns abgesehen und mein dreifaltiger Gott war sich mal wieder zu fein, uns zu helfen.“
Sie kicherte, doch die Gotteslästerung machte mich beklommen. Ich räusperte mich.
„Lüta hat uns gerettet. Sie ist oben auf den Klippen schwer verletzt worden, und mittlerweile ist sie tot. Aber sie hatte unsere Fackel gesehen, und ihre letzten Worte galten uns. Eiken und Roerd sind hinunter und haben uns geholt.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und räusperte mich erneut. Ich entschied, dass mein Hals sich roh und empfindlich anfühlte, und dass ich es gut gebrauchen konnte, eine Woche mit einer Erkältung im Bett zu liegen und von alten Männern Suppe gebracht zu bekommen. Aber etwas sprach dagegen. „Wie… wieviel haben sie beschädigt?“ Meine Stimme verkam zu einem Flüstern. „Waren sie wegen mir hier?“
Tomke sah mir nicht in die Augen, ihre Hand streichelte meinen Unterarm. Schließlich nickte sie.
„Sie haben deine Auslieferung gefordert. Irgendjemand muss ihnen verraten haben, dass die Frijheid hierher geflogen ist. Dass du hier bist. Vermutlich mit dem Handelsschiff – die Nachricht von einem verräterischen Hund! Wenn ich herauskriege, wer es war …“
„Wenn … wenn ich nicht mit dir auf See gewesen wäre …“ Ich sprach nicht weiter. Vorsichtig entgegnete sie meinem Blick und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Sie haben Bomben auf unser Dorf abgeworfen. Vermutlich hätte man dich eingetauscht, auch wenn man unbeugsam ist wie ein Friese.“
Redjeven Hauke war leise herzugetreten. Er sah wüst aus: das Haupt- und Barthaar zum Teil verbrannt und die Arme vor der Brust verschränkt, wirkte er müde und gramerfüllt. Ich presste die Lippen zusammen und zwang mich, zu ihm aufzublicken. Worte zu meiner Verteidigung fielen mir jedoch nicht ein.
„Somit ist also deine Unschuld erwiesen“, presste Hauke hervor und erntete überraschte Blicke von einigen seiner Krieger, die in Hörweite saßen, sowie von dem alten Mann, der meine Suppenschale hielt und mittlerweile selbst daraus aß.
Der Redjeven warf einen abschätzigen Blick in die Runde. „Harke tu, wat ik tu sooin hoa! Æsta hat seine Unschuld bewiesen!“
Er wandte sich mir wieder zu. „Was waren das für Huren, die du angeblich getötet hast? War es die Lieblingshure des Herzogs?“
Ich schüttelte den Kopf. „Die Huren – die ich nicht getötet habe, wohlgemerkt – entstammten ärmlichen Vierteln. Am Hafen, an den großen Werken und Fabriken“, sagte ich erstaunlich ruhig.
„Ziehen drei Luftschiffe los, um ein paar ärmliche Huren zu rächen? Ziehen drei Luftschiffe los, um einen Mann zu fangen, der mit seiner Puppe spricht?“ Er erhob die Stimme wieder über den ganzen Raum. „Nein! Niemand würde Luftschiffe zu den Friesen schicken – einen solchen Kampf und eine Niederlage riskieren – für ein paar Huren!“ Leiser fuhr er fort: „Was will der Herzog von
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