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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den ungewohnten Luxus einer Tasse Schokolade.
    »In der Stadt spricht man, Augusta Kjellerup halte für solche Anlässe immer eine Karaffe Rosmarinwein bereit«, sagte die Domina, als die Köchin gegangen war. »Damit kann ich nicht dienen, aber vielleicht tut es dies vorerst auch.« Sie nahm ein Glas von der Fayence-Platte auf der Kommode, füllte es aus ihrer Wasserkaraffe und reichte es Rosina. Dann öffnete sie den großen Schrank und nahm einen langen samtenen Morgenmantel heraus. »Zieh ihn an und setze dich. Dann möchte ich hören, was da unten passiert ist. Und zwar die Wahrheit. Ich merke immer, wenn man mich belügt.«
    Rosina schlüpfte in den Mantel, nahm das Leintuch, das ihr die Domina nun auch entgegenhielt, und wischte sich notdürftig den gröbsten Schmutz ab. Einen Moment lang drückte sie es auf ihr Gesicht und atmete den frischen Duft von Gras und Sonne des auf der Wiese neben dem Klostergarten gebleichten Leinens.
    »Danke. Ihr seid sehr rücksichtsvoll«, sagte sie und sah auf. »Ich habe nichts gestohlen. Wenn ich es getan hätte, müßte es ja noch da sein. Ich war in diesem winzigen Raum gefangen, und es gab kein Fenster, keinen Ausgang, und dann kamen die Schritte …«
    »Langsam, Rosa. Ich möchte die ganze Geschichte hören. Von Anfang an. Ich glaube nicht, daß Augusta mir eine Diebin geschickt hat, besonders keine, die ungeschickt genug ist, sich im Nachtgewand an die Arbeit zu machen und sich dann auch noch so mißlich erwischen zu lassen. Nun beruhige dich und fange an zu erzählen. Tatsächlich«, fügte sie hinzu, »bin ich inzwischen recht neugierig.«
    So erzählte Rosina, wie sie noch vor der Morgendämmerung erwacht und durstig in die Küche hinuntergegangen war, um einen Becher Wasser zu trinken. Sie erzählte von den Geräuschen, von ihrer Suche im Keller und der davonhastenden Gestalt, der sie gegen alle Vernunft sofort gefolgt war. Bis in die Kammer hinter der Tür am Ende des Holzganges.
    »Von dort ging es nicht weiter, da ist wohl eine weitere Tür, aber die ist verschlossen. Ich hörte nun auch nichts mehr, es kann sein, daß wer immer in dieser Nacht im Keller war, nicht in den Gang, sondern die Treppe zur Diele hinaufgelaufen ist, daß ich mich durch den Widerhall der Töne habe täuschen lassen. Es ging alles so schnell, und es war auch kaum Licht dort unten.« Ein Frösteln lief durch ihren Körper, und sie wickelte sich fester in den weichen Samt. »Ich wollte zurücklaufen, doch da fiel die Tür zum Gang ins Schloß, und ich war gefangen. Von innen hat sie keine Klinke, ich konnte nicht hinaus.«
    »Du meine Güte. Das war kein Vergnügen. Trotzdem kann ich kein Mitleid mit dir haben, Rosa. Es war dumm von dir, mitten in der Nacht einem Geräusch im Keller zu folgen, in der Dunkelheit und mutterseelenallein. Wirklich sehr dumm.«
    Rosina senkte schuldbewußt den Kopf, rieb ihre schmutzigen Hände aneinander und schwieg.
    »Nun gut. Was hast du dann gemacht? Du mußt Stunden in dieser Kammer gewesen sein. Hast du um Hilfe gerufen?«
    »Nicht gleich. Es hätte keinen Sinn gehabt, im Kloster schlief ja noch alles. Ich fürchtete, meine Rufe um Hilfe würden nur den zurückrufen, dem ich nachgelaufen war. Und ich … nun, ich fürchtete mich. Ich wußte nicht, wer das war, was er gewollt hatte. Ich wußte auch nicht, was er mit mir tun würde. Ich habe mich auf den Boden gesetzt und gewartet. Es war so stickig und auch so kalt. Und dann bin ich irgendwann eingeschlafen.«
    »Eingeschlafen? Allein in der finsteren kalten Kammer?«
    »Ich war plötzlich so furchtbar müde. Irgendwann wachte ich auf und hörte Stimmen aus dem Holzgang.«
    »Magda auf der Suche nach ihren Roten Rüben und der Ingwerwurzel.«
    »Sie schimpfte fürchterlich«, Rosina versuchte ein Lächeln, »daran habe ich sie gleich erkannt. Ich habe gegen die Tür gehämmert, dann hörte ich Schritte, aber sie kamen nicht aus dem Holzgang, sondern von der anderen Seite, vom Johanneum. Da habe ich noch heftiger gegen die Tür gehämmert, und gerade als ich hörte, wie jemand auf der anderen Seite einen Schlüssel im Schloß umdrehte, riß Magda die Tür zur Klosterseite auf. Sie sah überhaupt nicht freundlich aus, aber ich muß gestehen, ich habe mich ungeheuer gefreut, sie zu sehen.«
    »Und wer öffnete die andere Tür?«
    »Niemand. Als Magda gleich losschimpfte, wurde der Schlüssel wieder zurückgedreht. Das nehme ich jedenfalls an, es knirschte ein wenig, dann blieb es still hinter der Tür.

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