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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den See hatte rudern sehen, sprang gerade aus dem Boot ins flache Wasser am Ufer und machte es am Anleger fest, nicht mehr als ein paar schwankende Bretter auf Pflöcken. Da war sie schon bei ihm, und er sah verblüfft zu, wie eine feine Dame, im schlichten Kleid aus hellblauem Kattun, aber ganz gewiß keine Dienstmagd, ohne auch nur die Röcke zu raffen, ins Wasser sprang und den rothaarigen Jungen, der noch im Boot saß, den Kopf des anderen fürsorglich im Schoß, umarmte und dabei fast erdrückte.
    Was ihn sehr erleichterte. Die beiden hatten am anderen Ufer plötzlich vor ihm gestanden, sie mußten auf allerleisesten Sohlen herangeschlichen sein, was nie Gutes verhieß. Sein Anleger war außerhalb des Vorwerks nahe der Kuhmühle, da stromerten alle möglichen Kerle herum, auch solche, die die Wachen nicht durch die Tore in die Stadt und über die Lombardsbrücke ließen, und diese beiden sahen zumindest nicht wie ordentliche Leute aus, die was bezahlen können. Sie waren verdreckt, als hätten sie ein Moorbad genommen, der eine dazu mit blutigem Kopf und leichenblaß, der andere mit rotem Haar, stumm wie ein Fisch und zappelig wie ein junger Hund. Er hatte keine Lust gehabt, diese seltsamen Fahrgäste über den See zu rudern. Überhaupt keine. Aber sie hatten Geld, und der, der so leichenblaß aussah, aber immerhin ein bißchen zu sprechen verstand, bot ihm den doppelten Preis, wenn er sie beide zum Herrmannsschen Gartenhaus hinüberrudere. Aber gleich müsse es sein. Und schnell. Dann waren sie einfach in sein Boot geklettert, und der eine, der sprechende, war gleich zusammengesunken und fortan genauso stumm geblieben wie der andere. Was ihn wiederum überhaupt nicht gestört hatte. Er mochte es nämlich noch weniger, wenn seine Fahrgäste ihm unterwegs ihr halbes Leben erzählten, was für gewöhnlich wenig erbaulich war. Erbauliches behielten die Leute für sich oder hoben es für ein besseres Publikum auf, jedenfalls erzählten sie es nicht ihm, dem Fährmann. Obwohl er nicht sicher war, was die Herrmanns’ sagen würden, wenn er seine ramponierte Fracht bei ihnen ablieferte, war er gerudert wie der Teufel. Wahrscheinlich würde überhaupt niemand dort sein, an einem gewöhnlichen Donnerstagmorgen höchstens ein Gärtner. Er kannte Kampe, der würde die Jungen gar nicht erst an Land lassen. Dann setzte er sie eben eine Viertelmeile weiter nördlich ab. Da gab es weder Herrschaften noch deren aufgeblasene Gärtner, nur ein paar Enten, Kühe und Schafe. Die störte gar nichts.
    »Kampe!« schrie nun die Frau und wandte sich nach dem Gartenhaus um. »Kampe!!« schrie sie noch einmal, aber der konnte nicht kommen. Der Gärtner war mitsamt seinen beiden Gehilfen zu der Pflanzenzucht beim Besenbinderhof gefahren, um Stecklinge für das neue Glashaus auszusuchen und zu bestellen.
    Gewöhnlich weigerte sich der Fährmann entschieden, Passagiere oder auch nur deren Gepäck zu schleppen. Doch eine Minute später trug er den Jungen, der ein bißchen sprach, aber im Moment offensichtlich weder dazu imstande war, noch vernünftig, nämlich mit dem Kopf nach oben, zu gehen, auf die Terrasse. Ein paar Minuten und einen halben Krug Feldbrunnenwasser für den Verletzten später stützte und schleifte er ihn zu dem Einspänner, den die Dame ganz allein angespannt hatte. Den Rothaarigen auf seinen Fersen, immer mit dabei, den anderen zu stützen, obwohl er letztlich nur störte. Gleich darauf war die Dame, naß bis zu den Knien, ohne Haube und Brusttuch mit seinen Passagieren davongerollt. Sie hatte ihm noch zugerufen, er solle im Herrmannsschen Kontor am Neuen Wandrahm vorsprechen, da bekomme er seinen Lohn, auch für den Weg und die Mühe. Zurück blieb nichts als eine Staubwolke.
    So eine eilige Kutschfahrt, dachte der Fährmann, kann dem mit dem Blut am Kopf nicht guttun. Aber ging ihn das etwas an? Er stieg wieder in sein Boot und trödelte gemächlich zurück zu seinem Anleger hinter dem Vorwerk bei St. Georg. Dafür, daß es noch so früh am Tag war, hatte er genug verdient, um sich bei dieser Schwüle ein bißchen Gemächlichkeit zu gönnen.
    Schon bei Böckmanns Garten wurde der Weg holperig, und Anne mußte langsam fahren. Sie dachte flüchtig an Benni. Der Pferdejunge hatte sie nach Harvestehude hinauskutschiert und würde, wenn er mit den frischen Eiern, die Elsbeth ihm in Auftrag gegeben hatte, vom Glockschen Gehöft zurückkam, verwirrt sein, weder sie noch die Kutsche zu finden.
    Am Dammtor herrschte Gedränge,

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