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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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merkte Wagner sofort und mit einem angenehmen Gefühl der Genugtuung, als er dem Bibliotheksgehilfen an einem der langen Tische vor den endlosen Bücherregalen gegenübersaß.
    Selbstverständlich stehe er zur Verfügung, hatte Gulp gesagt und ergeben gedienert, als Wagner in der Tür der Bibliothek stand, selbstverständlich. Er helfe dem Weddemeister gern, das sei seine Pflicht als Bürger, jederzeit. Allerdings schlage die Uhr bald zehn, und mittwochs sei die Bibliothek von zehn bis zwölf dem Publikum der Stadt geöffnet. Auch dem müsse er unbedingt zur Verfügung stehen. Jedermann könne etwas ausleihen. Mit allergrößtem Vergnügen werde er dem Weddemeister die interessantesten Werke vorlegen, dann könne er jedenfalls sicher sein, daß die ohne Fett- oder gar Kaffeeflecken zurückgebracht würden. Das nämlich geschehe immer wieder, und manche röchen sogar nach Fisch! Es gebe hier äußerst interessante Werke über Justiz- und Kriminalsachen aus dem 16. Jahrhundert. Auch am Sonnabend sei geöffnet. Mittwochs und sonnabends, von zehn bis zwölf. Ja. Für ein halbes Jahr könne man die Bücher ausleihen, und das sei noch um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern. Es wäre ihm eine Ehre, den Weddemeister zu beraten.
    Wagner ertrug den Redeschwall stoisch und dankte knapp. Beizeiten, wenn sein Dienst ihm einmal Zeit lasse, werde er gerne kommen. Er sah keinen Grund, diesen eifrigen Hüter der Bücher wissen zu lassen, daß ihm die Kriminalsachen anderer Jahrhunderte so gleichgültig waren wie das Kopfgrimmen des dänischen Königs und er schon mehr als genug Mühe mit den gegenwärtigen hatte.
    »Eine so ernste Sache wie Monsieur Donners tragisches Ende hat Vorrang«, plapperte Gulp schon weiter. »Selbstverständlich. Immer Vorrang. Das wird jeder verstehen. Ja«, bestätigte er endlich, rückte das Drahtgestell mit den staubigen Gläsern auf seiner Nase zurecht und lehnte sich im Bewußtsein seiner ungewohnten Wichtigkeit behaglich zurück, »Monsieur Bucher war am letzten Donnerstag in der Bibliothek. Das stimmt. Er kam bald nach dem Ende des Vormittagsunterrichts, ich habe nicht darauf geachtet, wer konnte da schon ahnen, wie bedeutsam das einmal sein würde. Es muß aber etwa ein Viertel nach zehn gewesen sein.«
    Wagner zog einen seiner krumpeligen Zettel und einen Bleistiftrest aus der Rocktasche und begann Notizen zu machen. »Was wollte er hier?«
    »Das hat er nicht gesagt, leider, und wir haben ihn auch nicht gefragt. Der Professor spricht nicht gerne. Nur das Notwendigste. Monsieur Bucher kennt sich selber aus, er ist recht oft hier, tatsächlich ist er einer der wenigen Lehrer des Johanneums, Monsieur Müller ausgenommen, die regelmäßig in der Bibliothek lesen. Er interessiert sich auch für die Geschichte des Klosters, sehr löblich, und macht häufig Exzerpte, wohl für den Unterricht.«
    »Aha. Und er blieb während der ganzen Pause? Bis um eins?«
    »Ja, gewiß. Das tut er regelmäßig. Wie ich schon sagte, Monsieur Bucher ist …«
    »Regelmäßig, das ist schön. Sehr gut. Aber tat er es auch am letzten Donnerstag. Habt Ihr ihn während der ganzen Pause hier gesehen?«
    »Nun«, sagte Justus Gulp. »Gesehen. Es ist ja nicht so, daß wir in der Bibliothek ein so bequemes Leben haben wie die Lehrer des Johanneums. Wir haben keine Pause von zehn bis um eins. Wir arbeiten den ganzen Tag, wie es sich für einen guten Christenmenschen gehört, wir …«
    »Habt Ihr ihn nun während der ganzen Pause gesehen oder nicht?«
    »Nicht während der ganzen Pause gesehen , sozusagen. Ich habe ihn gesehen, als er kam, und auch noch während der folgenden Stunde, es mag auch einige Minuten länger gewesen sein. Dann mußte ich dem Professor in den anderen Raum folgen, den hinteren, in dem immer noch Tausende Schriften und Druckwerke lagern, die in die Bibliothek eingearbeitet werden müssen. Tausende! Eine nie endende Arbeit. Nie! Aber er war gewiß hier, er bleibt immer bis um eins, eben bis der Unterricht wieder beginnt.«
    »Also habt Ihr ihn tatsächlich, von Angesicht zu Angesicht, nur um Viertel nach zehn gesehen, und dann nicht mehr.«
    »O nein, wie ich eben sagte, so war es nicht. Der Professor kam um elf, er kommt immer um elf, und da war Monsieur Bucher noch da. Eben bis ich mit dem Professor in den anderen Raum gehen mußte. Danach, nun, danach habe ich ihn tatsächlich nicht mehr gesehen.« Justus Gulp wurde um einige Zoll kleiner.
    »Wart Ihr denn zwischendurch noch einmal in diesem

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