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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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wie Muto ihn, der bis über die Taille im Morast versunken war, herauszog. Auf dem Bauch liegend, mit zwei starken Ästen, er wußte nicht, woher er die gehabt hatte, da war ja nur Gestrüpp, aber er hatte es geschafft. Muto zerrte ihn auf diese Insel, nicht mehr als zwei Schritte lang und breit, und sie duckten sich tief ins Dickicht, immer in der Angst, der Mensch, der versucht hatte sie zu töten, werde sie auch hier noch finden. Wo immer sie später über den Rand zu treten versuchten, sanken sie sofort ein. In seinem Kopf waren ohnedies nur Schmerz und Nebel gewesen, schließlich war er eingeschlafen und erst in der Nacht wieder aufgewacht.
    Als er das zweite Mal erwachte, war die Sonne schon aufgegangen. Unter seinem Kopf lag Mutos Jacke, und er sah nur das Gestrüpp, tauglitzernde Spinnweben zwischen den Ästen und hauchfeine Nebelschwaden über den Sumpflöchern.
    »Da hörte ich etwas, ein Rumpeln, auch Hufe auf einem Weg. Jemand fuhr mit einem Lastwagen vorbei, ich richtete mich auf und sah Mutos Kopf und Schultern am Rande des Gebüschs über die Zweige ragen. Er winkte und rief den Bauern zur Hilfe.«
    »Muto?« fragten Anne und Claes wie aus einem Mund. »Muto hat um Hilfe gerufen?«
    »Ja«, sagte Simon und begriff erst jetzt, wie absonderlich das war. »Ja, er hat gerufen. Jedenfalls glaube ich das. Mein Kopf fühlte sich noch sehr taub an. Aber trotzdem, der Bauer muß ihn auch gehört haben. Sie waren zu zweit, der andere war sein Sohn, und hatten irgendwelche Bretter auf ihrem Wagen. Die legten sie wie ein Floß auf den Morast, wir mußten auf dem Bauch darüberkriechen, und irgendwie waren wir schließlich auf festem Grund.«
    Er schloß erschöpft die Augen. Niemand stellte eine weitere Frage.
    »Die Männer«, fuhr er schließlich fort, »waren unterwegs nach St. Georg und nahmen uns auf ihrem Wagen bis zum Vorwerk mit. Sie redeten zwar irgendwas von dummen Stadtkindern, aber sie waren trotzdem freundlich. Sie gaben uns sogar von ihrem Wasser ab.«
    »Das war wirklich sehr freundlich«, sagte Anne, »aber warum seid ihr nicht einfach durchs Steintor in die Stadt gegangen? Es wäre doch viel einfacher und auch der kürzere Weg gewesen.«
    »Das wollte ich. Aber als wir St. Georg schon ziemlich nahe waren, zog Muto mich ständig am Ärmel, er zeigte auf die Wälle und schüttelte heftig mit dem Kopf. Danach wies er auf die Alster, winkte weit hinaus, immer wieder, bis ich schließlich begriff, was er meinte. Wir sollten nicht zurück in die Stadt, es konnte ja sein, daß er da irgendwo auf uns wartete oder daß wir ihn zufällig träfen, wenn wir wieder allein waren. Muto meinte, wir sollten uns zu Eurem Gartenhaus rudern lassen. Das haben wir dann getan. Muto ist sehr klug.«
    Wieder war es einen Moment still. »Du bist ganz sicher«, sagte Claes schließlich, »daß du den Kerl auf dem Pferd nicht erkannt hast? Du mußt doch sein Gesicht gesehen haben, wenn er dir so nahe gekommen ist.«
    »Nein, Monsieur, an das Gesicht kann ich mich nicht erinnern. Sosehr ich mich auch bemühe. Ich glaube nicht, daß ich ihn kenne. Ich kenne überhaupt niemanden, der so etwas tun würde. Warum denn? Es kann nur ein Straßenräuber gewesen sein. An jemanden, den ich kenne, würde ich mich sicher erinnern, aber da ist nur ein dunkler Fleck.«
    »Das macht nichts, Simon.« Anne knuffte ihren ungeduldigen Mann heimlich in die Seite. Sie fand es zwar auch befremdlich, daß Simon glaubte, der Mann sei irgendein Straßenräuber gewesen, und zugleich befürchtet hatte, ihn am Tor oder in der Stadt wiederzutreffen. Aber für solche Fragen war nun nicht die richtige Zeit. »Du mußt jetzt schlafen, Simon, das Nachdenken ist später dran. Rosina wird gleich hier sein, sie kann Muto fragen, ob er ihn kennt. Vielleicht hilft das weiter.«
    Zuerst kamen jedoch Doktor Reimarus und die Horstedts. Die Wagen fuhren nahezu gleichzeitig vor, und nachdem der Arzt den aufgelösten Eltern gestattet hatte, ihren heimgekehrten Sohn zu umarmen (möglichst ohne ihn zu erdrücken, bitte sehr, der Junge sei schon geschwächt genug), scheuchte er die ganze Gesellschaft aus der Kammer.
    Dr. Reimarus fand, der junge Monsieur Horstedt müsse einen Schädel aus Eisen haben. Er verband die Wunde über Simons Ohr, sparte dabei nicht mit Ringelblumensalbe und verordnete strenge Bettruhe hinter verschlossenen Gardinen. Auch nur leichte Kost, eine dünne Hühnersuppe zum Beispiel, wenn der Patient sie verlange. Tee aus Sonnenhutwurzel, Schafgarbe,

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