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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Raum auf und ab zu gehen. »Der Weddemeister gibt sich alle Mühe, die Wahrheit herauszufinden. Nur darum geht es, um die Wahrheit, nicht Euch schuldig und hängen zu sehen. Ihr habt gesagt, Ihr seid am vergangenen Donnerstag in der Bibliothek gewesen, bis kurz nach elf, das stimmt, dafür gibt es einen Zeugen. Dann, so sagt Ihr, habt Ihr die Bibliothek verlassen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Nun gut. Warum habt Ihr Euer Schreibzeug auf dem Tisch zurückgelassen? Ihr steht im Ruf, ein ordentlicher Mensch zu sein.«
    Bucher seufzte. Er saß nun schon so lange in diesem schmuddeligen, stickigen Zimmer, sein Gefühl für die Zeit war längst verloren. Weddemeister Wagner hatte ihm immer wieder die gleichen Fragen gestellt, er hatte immer die gleichen Antworten gegeben. Nein, er habe Donner nicht getötet, obwohl er, das gebe er gerne zu, über dessen Tod in keiner Weise betrübt sei. Er habe die Bibliothek verlassen, um ein wenig spazierenzugehen, das tue er häufig, wenn er über seinen Unterricht nachdenken müsse. Nein, er habe unterwegs niemanden getroffen, der das bezeugen könne. Jedenfalls erinnere er sich nicht. Er sei in Gedanken gewesen, dann sehe er nie jemanden.
    Er war erleichtert gewesen, als plötzlich der Scholarch auftauchte. Der hatte zuerst mit Wagner im vorderen Raum gesprochen, er hatte die Worte nicht verstehen können, und dann mit dem Weddemeister zusammen das Verhör fortgesetzt. Nicht daß Claes Herrmanns seine Situation wirklich verbessern konnte, aber der Mann im teuren Rock und makellosen Hemd, die ruhige, gebildete Sprache, minderten sein Gefühl, in eine fremde Welt voller Feinde geraten zu sein.
    »Nun gut«, sagte Claes Herrmanns, blieb vor dem Lehrer stehen und sah ihn nachdenklich an. »Nun gut. Ihr seid also spazierengegangen und wißt niemanden, der das bezeugen könnte. So etwas kann geschehen, wenn es auch in Eurer Lage fatal ist. Dann sagt mir etwas anderes: Wo wart Ihr gestern nachmittag? Sagen wir etwa ab drei Uhr?«
    »Gestern? Was sollte das mit dieser Sache zu tun haben. Ich habe im Mietstall am Drillhaus ein Pferd geliehen und bin ausgeritten. Es muß bald nach zwei Uhr gewesen sein. Ich miete dort oft ein Pferd, der Stallmeister kennt mich gut. Ihr könnt ihn fragen, er wird sich ganz bestimmt daran erinnern.«
    »Das werden wir tun«, sagte Claes Herrmanns, und Wagner lehnte sich auf seinem Hocker mit einem triumphierenden Schnaufer zurück gegen die Wand. »Bald nach zwei Uhr. Aha. Wohin seid Ihr geritten?«
    »Auf den Wall und über die Lombardsbrücke, durch das Dammtor und hinauf nach Eppendorf. Auch das tue ich häufig. Es ist ein besonders schöner Ritt.«
    »Gewiß seid Ihr in einem Gasthaus eingekehrt, im Krug bei der Koppel am Eichwald zum Beispiel, und die Wirtin dort kann das bezeugen.«
    »Nein, Monsieur Herrmanns«, Bucher seufzte gereizt, »ich bin nicht eingekehrt. Das tue ich zwar manchmal, gestern aber nicht. Ich bin weit geritten und habe nur eine Rast im Gras gemacht, irgendwo hinter Eppendorf am Alsterufer. Da war niemand als ein paar Gänse, Hasen und Störche.
    »Hasen und Störche, soso«, sagte Wagner, und Claes Herrmanns fragte: »Ihr seid sicher, daß Ihr nur an der Alster wart? Nicht auch jenseits der Alster? In Wandsbek womöglich?«
    »Ganz sicher. Nach Wandsbek hätte ich durch die Furt reiten müssen. Die ist zwar niedrig zur Zeit, aber ich bin auf dieser Seite der Alster geblieben. Warum fragt Ihr das alles?«
    »Wann seid Ihr zurückgekommen? Wann habt Ihr das Pferd wieder in den Mietstall gebracht?« fragte Wagner, der aufgestanden war, neben Claes Herrmanns stand und grimmig auf Bucher hinabsah.
    »Es muß etwa gegen sieben gewesen sein. Ich war ziemlich lange fort. Ja, sicher gegen sieben. Als ich meine Wohnung erreichte, erwartete mich meine Wirtin schon mit dem Abendessen. Das serviert sie immer um sieben.«
    »Es tut mir leid, Bucher, die Dinge stehen schlecht für Euch. Ich rate Euch, noch einmal gut nachzudenken. Am besten schnell. Und bedenkt auch, daß ein Geständnis immer ein Weg ist, die Richter milde …«
    »Das ist unerhört! Ihr werdet mich sofort zum Weddemeister führen. Sofort!«
    Die helle Stimme aus dem vorderen Raum unterbrach Claes Herrmanns’ Ausführungen über die Gepflogenheiten der Richter abrupt. Zwar war schon seit einigen Minuten Gemurmel zu hören gewesen, aber das hatte niemand beachtet.
    »Sofort!« rief die Stimme erneut, Wagner knurrte: »Was, zum Teufel …«, und Bucher flüsterte »Mein

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