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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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des äußerst schmalen Gehaltes) das Leben auf einer Insel war. Wohl gab es an dieser Schule auch Schüler aus unbegüterten Familien, denen nur ein Stipendium den Besuch ermöglichte. Dennoch begegnete er den wirklich dunklen Seiten der Stadt nur selten. Er war nie in den düsteren, stinkenden Gängevierteln gewesen, von denen im Kaffeehaus, bei den Teestunden bei Büsch, den Reimarus’ oder auch in Sonnins Lieblingsgasthaus Zum Traubenthal in der Neustadt in der letzten Zeit häufig geredet wurde. Er wußte sehr wohl, daß die Zahl der Armen und Elenden in der Stadt bedenklich wuchs. Ob aber die Armut die Verbrechen begünstigte, oder ob es eine Sache des Charakters sei, daß bevorzugt Menschen aus diesen Teilen der Stadt am Galgen endeten, darüber war man sich nicht einig. Überhaupt nicht einig. Nein, Müller kannte diese dunklen Seiten der Stadt nicht, und er war selbst noch nie mit schlimmeren Verbrechen in Berührung gekommen als dem Diebstahl von Äpfeln und Pflaumen aus dem Garten der Domina oder anderen Streichen seiner Schüler. Die reichten zwar manchmal bedenklich nahe an Verbrechen heran, so behauptete jedenfalls das Scholarchat, doch ganz bestimmt waren sie nichts gegen einen Mord.
    Donners letzte Minute konnte erst kurz bevor der Pedell ihn fand und umgehend nach dem Rektor schickte verstrichen sein. Wenn Donner schon sterben mußte, konnte er nicht einem wohl auch tragischen, aber doch ehrbaren Herz- oder Gallenleiden erliegen? Natürlich war das kein edler Gedanke, aber hätte der Mörder seinem Opfer nicht in dessen Wohnung auflauern können? Oder auf den Wällen, wo Donner am Abend oft allein spazierenging? Überhaupt war er viel spazierengegangen. Hätte es da nicht genug und bessere Gelegenhei ten gegeben?
    Dr. Reimarus zog nun das letzte Stück der Waffe heraus, und der Rektor schloß die Augen. Gewiß würde ein sprudelnder Blutstrahl hervorschießen, so wie es manchmal bei einem zu kräftigen Aderlaß geschah, doch als er die Augen tapfer wieder öffnete, sah er, daß nichts dergleichen geschah. Wohl waren Weste und Hemd des Toten und ein wenig auch sein Rock blutbefleckt, aber nun floß keines mehr. Der Arzt trat ans Fenster und hielt das seltsame Gerät ins Licht. Es ähnelte einer langen Nadel an einem rundlichen Holzknauf, und er betrachtete es wie ein Insektenforscher ein besonders interessantes Exemplar aus den Urwäldern Surinams oder Javas. Müller atmete erleichtert auf. Es war kein Messer oder Stilett, wie alle angenommen hatten, sondern sah wie das Werkzeug irgendeines Handwerkers aus. Zumindest konnte er nun sicher sein, daß keiner seiner Kollegen in Verdacht geraten würde. Woher sollte ein Lehrer so etwas haben? Wozu es überhaupt besitzen?
    »Messieurs«, Dr. Reimarus hielt die seltsame Waffe hoch, »hat jemand so ein«, er stockte, legte den Kopf mit dem mächtigen Kinn und der kräftigen Nase schief, »so ein Gerät schon einmal gesehen?«
    Alle traten näher, doch keiner wußte eine Antwort. Der Rektor erkannte nun, daß es keine übliche Nadel war. Der dünne metallne Stab, etwa so lang wie der Mittelfinger seiner Hand, war vierkantig, die feine Spitze schräg zugeschliffen, was das Werkzeug zu einer außerordentlich scharfen Waffe machte. Der Weddemeister zog ein frisches Tuch aus seinem Rock, faltete es auseinander und nahm dem Arzt das ›Gerät» vorsichtig aus den Händen. «Ihr erlaubt, daß ich das corpus delicti in Verwahrung nehme. Das Rätsel wird sich bald lösen. Es ist wohl nicht möglich, Dr. Reimarus, daß der Tote sich selbst … «
    Er sprach den Satz nicht zu Ende. Allein die Vermutung, ein Mitglied des Johanneum-Kollegiums könne eine so sündige Tat begangen haben, war empörend. Wagner war es gewöhnt, empörende Fragen zu stellen, auch wenn er dabei stets eine betretene Miene zur Schau stellte, störte ihn das nicht im mindesten .
    »Kaum « , sagte der Arzt, der wie der Weddemeister an solche Fragen gewöhnt war. »Möglich ist natürlich fast alles, aber die Waffe, so will ich das Ding mal nennen, wurde von schräg unten geführt.« Er führte die dazu nötige Bewegung mit spitzem Zeigefinger schwungvoll vor. »Es wäre eine ziemlich umständliche Methode, wenn man …«
    Auch er sprach den Satz nicht zu Ende.
    Wagner nickte, und ein Hauch Zufriedenheit flog über sein kummervolles Gesicht. » Das dachte ich schon. Sicher werdet Ihr den Toten genauer untersuchen und mir später mehr sagen können. Monsieur Müller, wenn ich nun bitten dürfte « ,

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