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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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er wandte sich mit einer artigen Verbeugung an den Rektor, » es ist notwendig, einige Fragen zu beantworten. Und wenn Ihr das Kollegium und den Pedell anweisen könntet, nebenan zu warten? Ich muß alle befragen, leider …«
    Claes Herrmanns sah die Gesichter der Lehrer und grinste verhalten. Wagner würde seine Methoden nie ändern. Er hatte den kurzbeinigen dicken Mann, als er ihm vor einigen Jahren zum ersten Mal begegnete, auch für einfältig gehalten. Inzwischen war er froh, daß er sich dabei so sehr geirrt hatte. Er war ihm seither immer wieder begegnet, selten bei heiteren Anlässen, und nun ausgerechnet in diesem ehrwürdigen Haus.
    Der Kaufmann hatte sich nicht gerade mit Begeisterung in das Scholarchat wählen lassen, aber Senator van Witten hatte wieder einmal seine unübertreffliche Überredungskunst eingesetzt, und so war es eben passiert. Gewiß, es war scheußlich, anstatt bei einer Tasse Kaffee eine gemütliche Stunde in Müllers immer ein wenig staubigem Salon zu verbringen, hier dem Tod zu begegnen, gar einem Mord. Aber er hatte Adam Donner nicht gekannt, und tatsächlich war seine Neugier erheblich größer als seine Erschütterung. Plötzlich fühlte er sich in eines dieser absurden Schauerstücke versetzt, die die Beckersche Komödiantengesellschaft in ihrem Repertoire hatte und erheblich erfolgreicher aufführte, als die Stücke von so ernsthaften Dichtern wie Lessing oder Geliert.
    Es amüsierte ihn immer wieder, wenn Wagner sprach und aussah, als sei er erst seit drei Wochen Weddemeister und könne nicht bis zehn zählen. Nur wenige wußten so gut wie Claes Herrmanns, daß nicht zuletzt dieser falsche Anschein Wagners Erfolg als Spürnase ausmachte.
    Das sei eine sehr traurige Geschichte, sagte der Weddemeister nun, wirklich, eine traurige Geschichte. Ein Mord in diesem Haus, das doch der Erziehung und erblühenden Gelehrsamkeit der Jugend diene. Gewiß sei es im Interesse des Rektors wie des Scholarchats, den Übeltäter schnell zu finden. Dabei rieb er die Flächen seiner gefalteten Hände aneinander, und nur wer ihn sehr aufmerksam ansah, konnte das wache Glitzern in seinen Augen entdecken.
    Einige Minuten später fand sich der Rektor des Johanneums hinter einem der Pulte in der Quinta wieder, die für die engen Bänke zu langen Beine in den Gang ausgestreckt, ihm gegenüber in der zweiten Pultreihe Wagner, dessen Beine ganz genau unter das Pult paßten. Claes Herrmanns hatte den Lehnstuhl, der auch in diesem Klassenraum neben dem Kachelofen stand, geholt und sich zu den beiden Männern gesetzt. Wagner hatte ihn aufgefordert, dieser Unterredung beizuwohnen, so hatte er sich ausgedrückt, als Mitglied des Scholarchats und …
    Auch dieser Satz war unvollendet geblieben, aber der Rektor hatte gleich genickt. Herrmanns’ Anwesenheit würde ihm einen langen Bericht an die Herren der Schulaufsicht ersparen, den konnte der nun selbst abgeben. Außerdem kannte Müller den Kaufmann nicht nur als Vater eines der Tertianer und eines ehemaligen Schülers, sondern auch als Freund Sonnins und Gast im Hause Reimarus. Herrmanns würde ihm, wenn ihn sein neues Ehrenamt nicht plötzlich verändert hatte, keine Schwierigkeiten machen. Im Gegenteil, er war erleichtert, bei diesem Verhör nicht mit dem Weddemeister allein zu sein. Denn ein Verhör war es ja, was ihm nun bevorstand, auch wenn er sich ganz und gar nicht schuldig fühlte.
    Niemand hatte das Mädchen beachtet, das mit dunklen Augen und fest um den dünnen Körper geschlungenen Armen in der Tür des Klassenzimmers stand, bis Töltjes, der Pedell, sie mit einer kurzen harten Handbewegung davonscheuchte. Er selbst hatte Karla, gerade fünfzehn Jahre alt und seit drei Jahren die Magd seiner Frau, nach der Wedde und nach dem Arzt geschickt. Doch nun hatte sie hier nichts mehr zu suchen. Claes Herrmanns hörte das leise Klappern ihrer Holzschuhe, doch als er sich danach umdrehte, war sie schon verschwunden.
     
    Simon liebte das heitere Klingeln des Glöckchens. Einmal hatte er sogar vorgegeben, ihm sei auf der Straße vor der Tür etwas hinuntergefallen, nur um noch einmal hinausgehen und wieder hereinkommen zu können. Auch an den Türen anderer Läden und Werkstätten schlug beim Öffnen eine Glocke an, doch keine hatte einen so zarten, süßen Ton wie die an der Tür zur Werkstatt des Uhrmachers Godard an der Ecke Berg und Große Johannisstraße. Und dann, vielleicht war das sogar noch schöner, dann empfing ihn das Ticken der vielen Uhren.

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